Der geheime Basar
Horizont konnte man die Berggipfel erspähen. Im Wohnzimmer waren weiße, transparente Vorhänge zugezogen, die gelbliches Licht hereinsickern ließen. Und dahinter eine Schiebetür. Nicht immer, erklärte sie, nur an den Tagen, an denen die elektronischen Anzeigetafeln auf der Straße vor Smog warnten und alte Menschen gebeten wurden, zu Hause zu bleiben. Zahra war fünfundfünfzig.
Die Schuhe ziehe man bei ihr in der Diele aus, sagte sie, wie früher in den Häusern. Der Fußboden lag unter dicken, schmiegsamen Teppichen verborgen. In den Salon führte eine mit mückenabweisendem Stoff getränkte Fußmatte, angeschlossen an einen Elektrostecker. In einer Schale türmten sich Früchte, Pfirsiche, Äpfel und dunkle Trauben. Auf einem kleinen Schemel, der für die Fernbedienung bestimmt war, standen Schälchen mit Rosinen, Pistazien und anderen Nüssen und Trockenfrüchten, freitags gebe es auch Dörrfeigen, Beeren und Pecannüsse – Babak, der Nachbar, erledige die Einkäufe. Aber Zahra achtete auf ihre Linie, als könnte sie jeden Augenblick wieder der Ruf zu einem Comeback ereilen, und Mama hatte sogar behauptet, sie habe drei Schönheitsoperationen machen lassen. Zwei Vasen, antike Stühle, eine vergoldete Wanduhr. Ein Schaukelstuhl. Eine große, schwarze Bücherwand aus Holz, überladen mit Bänden, die seit Jahrzehnten offensichtlich niemand angerührt hatte. Als ich mich ihnen näherte, sagte Zahra: «Lies nicht zu viel, damit du dir keine Depression einhandelst.»
Die Marmorfliesen waren von einem hellen Braun mit dunkel gebrannten Rändern, weiße Steinbögen trennten die Räume, und hier und da standen kleine runde Blumentöpfe, aus denen dünne, lange Stängel ragten, nackt, ohne Blüten, vielleicht jahreszeitabhängig. Eine schmale Holztreppe führte in die zweite Etage hinauf, in der sich Zahras Schlafzimmer befand. Ein ausgeblichener roter Lampenschirm dämpfte das Licht, Läufer in einem dunklen Pfirsichton wärmten jeden Schritt, und die Betten waren mit feinen Stoffnetzen umspannt. Auch ein geräumiges Badezimmer gab es dort. Und ich würde meine eigene kleine Duschzelle haben, in der Zahra zarte Porzellantiegel und Duftkerzen verteilt hatte. In dem Zimmer, das meins sein würde, war ein alter Teppich in Türkistönen ausgebreitet, den Arian geliebt hatte, wie sie mir erklärte. Am Fenster ein Plastikblumenkasten, aus dem grünes Strauchdickicht rankte, das die Straße dem Blick entzog. Im Schrank lagerten in starren Kartons die Musikinstrumente, wie unberührt, seit Jahren nicht ihrer Verpackung entnommen. Der Krieg war schon seit zwanzig Jahren beendet, doch mein neues Zimmer war so geblieben, wie Arian es verlassen hatte. Sein Arbeitszimmer. Faltordner und ein Schreibpult mit prächtigen Federn, die lange eingetrocknet waren. Feine europäische Anzüge hingen im Schrank, konservierte Erinnerungen, und Hausschuhe aus männlich hartem Leder standen akkurat am Teppichrand.
«Die Zeit ist schnell vergangen», entschuldigte sich Zahra, als ich meinen Rucksack ausleerte und meine Hemden in die engen Lücken im Schrank stopfte, bemüht, nichts Vorhandenes durcheinanderzubringen. «Was für ein grauenhafter Krieg», seufzte sie, «ich hatte nicht die Kraft, Schränke aufzuräumen, und ich hätte mir ohnehin niemanden in Arians elegante Stücke gekleidet vorstellen mögen, der die Erinnerung, die alle an seine stattliche Erscheinung haben, nicht ruiniert hätte.» Aber dann zog sie plötzlich einen Maßanzug aus dunkelgrünem Stoff und ein enganliegendes schwarzes Hemd mit Knöpfen heraus. «Dieser Anzug würde perfekt an dir aussehen! Probier ihn an», sagte sie, mit einem Mal ganz begeistert. «Nein, nein danke», lehnte ich ab, verwirrt von ihren abrupten Stimmungsumschwüngen. Doch Zahra beharrte darauf, begann das Hemd aufzuknöpfen und hielt es mir hin: «Na los, Modellprobe.» Und bevor ich mich versah, merkte ich, wie ich errötend aus T-Shirt und Jeans schlüpfte und in der Unterhose vor ihr stand. Wie ich das gestärkte Hemd anprobierte und hastig in die Hosen fuhr, die sie mir reichte, wobei sie die ganze Zeit über zusah, mich mit eindringlichem Blick begutachtete. Dann zog sie mir noch das Jackett an und spähte mir von hinten über die Schulter in den Spiegel. «Gut, das sieht gut aus», meinte sie zufrieden, «das ist etwas für den Winter, beeindruckend und schick, das musst du zugeben. Es gehört dir.» Sie strich mir mit anmutigen Bewegungen den Stoff an Ärmeln und Rücken glatt.
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