Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der geheime Garten

Der geheime Garten

Titel: Der geheime Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Hodgson Burnett
Vom Netzwerk:
kränkliches und gelangweiltes Kind gewesen, das erbarmungswürdig wirkte. Als jedoch ihr Sinn sich langsam füllte mit Gedanken an ein Rotkehlchen, an eine Moorhütte voll Kinder, an einen mürrisch dreinschauenden, aber lieben, alten Gärtner und mit dem, was ein einfaches Hausmädchen aus Yorkshire erzählte, als sie über den Frühling und das, was er in dem geheimen Garten wirkte, nachzudenken begann, und als vor allem ein Junge aus dem Moor mit seinen Tieren Platz in ihrem Gemüt fand, da blieb kein Raum mehr für unangenehme Gedanken, die sie krank und blaß und müde machten.
    Solange Colin in seinem Zimmer eingeschlossen bleiben wollte und nur an seine Angst und seine Schwäche und den Abscheu gegen seine Mitmenschen dachte und stundenlang über den Buckel und den nahen Tod grübelte, war er ein nervöser Kranker gewesen, der sich seine Leiden nur einbildete. Er wußte nichts vom Frühling und vom Sonnenschein und ahnte auch nicht, daß er gesund werden und auf seinen Füßen stehen könne, wenn er nur den Versuch machte. Als aber neue Gedanken die alten, scheußlichen zu vertreiben begannen, da wurde ihm ein neues Leben geschenkt. Sein Blut strömte neubelebt durch seine Adern und versorgte ihn mit frischer Kraft. Ein kleines Wunder erlebt der Mensch, der die Vernunft aufbringt, böse oder traurige Gedanken sofort hinauszubefördern, um Platz zu schaffen für angenehme, zuversichtliche. Zwei gegensätzliche Dinge können nicht an der gleichen Stelle gedeihen. »Wo du eine Rose pflegst, mein Kind, da kann keine Distel wachsen«, sagt ein Sprichwort.
    Während der geheime Garten zu neuem Leben erwachte und mit ihm zugleich zwei Kinder dem Leben neu geschenkt wurden, wanderte ein Mann weit entfernt durch die wunderschönen Fjorde und Täler Norwegens. Dieser Mann hatte sich nun schon seit zehn Jahren mit düsteren Gedanken durch das Leben geschleppt. Er war nicht tapfer gewesen. Er hatte nie versucht, das Düstere durch etwas anderes zu vertreiben. Er hatte die Verzweiflung mit sich herumgetragen, während er an blauen Seen entlang gewandert war. Er hatte auf den Spitzen der Berge im blühenden Enzian gelegen und seinen traurigen Gedanken nachgehangen. Schreckliches Leid war über ihn hereingebrochen, gerade als er überglücklich gewesen war. Seither herrschte in seiner Seele Dunkelheit und hinderte selbst den kleinsten Lichtstrahl, in sie einzudringen.
    Er hatte sein Haus verlassen und seine Pflichten vernachlässigt. Wenn er umherreiste, war die Dunkelheit wie eine Wolke um ihn. Die fremden Menschen hielten ihn für einen Halbirren oder einen, der ein heimliches Verbrechen mit sich herumschleppte. Er war ein großgewachsener Mann mit einem abgehetzten Gesicht und mit gebeugten Schultern. Er war viel gereist seit dem Tag, da er Mary empfangen und von ihr erfahren hatte, daß sie gern ein bißchen Erde haben wollte. An den schönsten Plätzen Europas war es gewesen, aber nirgends länger als ein paar Tage. Er hatte die stillsten, abgelegensten Orte aufgesucht. Er war auf Berge geklettert, deren Spitzen in die Wolken ragten, und hatte auf andere Berge hinuntergeblickt, über denen die Sonne aufging. Sie standen in Licht getaucht und sahen so taufrisch aus, als wäre die Welt eben erst erschaffen worden.
    Doch ihn selbst erreichte das Licht nie, bis sich eines Tages etwas Neues ereignete. Er befand sich in einem schönen Tal in Tirol. Er war lange gewandert, und nichts hatte seine Seele befreit. Schließlich hatte er sich erschöpft auf einem Moosteppich am Rande eines Baches niedergelegt. Es war ein kleiner Fluß, der in seinem engen Bett lustig durch die süße, feuchte grüne Welt plätscherte. Der Mann sah, wie die Vögel herbeiflogen, sich niederbeugten und Wasser tranken. Dann putzten sie ihre Federn und flogen davon. Das Tal lag still da. Als er so saß und in das fließende Wasser blickte, hatte Archibald Craven plötzlich ein Gefühl, als würden seine Seele und sein Leib so still wie das Tal. Er saß und starrte in das von Sonnenlicht durchleuchtete Wasser. Nach einer Weile begannen seine Augen umherzuwandern. An einem Kissen aus blauen Vergißmeinnicht blieben sie hängen. Während er es betrachtete, fiel ihm ein, daß Jahre vergangen sein mußten, seit er solche Blumen gesehen hatte. Wie lieblich war der Anblick! Ein richtiges Wunder in Blau, wenn Hunderte von ihnen beieinander standen.

    Er bemerkte nicht, wie dieser einfache Gedanke seine Seele ergriff und alle anderen Empfindungen aus ihr

Weitere Kostenlose Bücher