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Der geheime Garten

Der geheime Garten

Titel: Der geheime Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Hodgson Burnett
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Gleich die ersten Worte, die er las, ließen ihn aufmerken.

    »Lieber Herr,
    Ich bin Susan Sowerby, die Frau, die einmal so frei war, Sie im Moor anzusprechen. Es war wegen Miß Mary. Jetzt möchte ich mir die Freiheit erlauben, noch einmal etwas zu sagen. Bitte, Sir, ich würde nach Hause kommen, wenn ich Sie wäre. Ich glaube, Sie sollten gern kommen. Nehmen Sie es mir nicht übel, Sir, ich glaube, Ihre Gattin würde Sie zu kommen bitten, wenn sie noch unter uns weilte.

    Ihre gehorsame Dienerin 
    Susan Sowerby.«

    Mr. Craven las den Brief zweimal, ehe er ihn in den Umschlag zurücksteckte. Er dachte wieder an seinen Traum.
    »Ich werde nach Misselthwaite zurückfahren«, beschloß er. »Ich fahre noch heute.«
    Wenige Tage später war er in Yorkshire. Auf der langen Eisenbahnfahrt hatte er häufiger an seinen Sohn gedacht als in all den Jahren zuvor. Zehn Jahre lang hatte er nur versucht, ihn zu vergessen. Jetzt gingen ihm, obgleich er nicht die Absicht hatte, an ihn zu denken, pausenlos Gedanken an Colin durch den Kopf. Er erinnerte sich an die Tage, da er wie ein Irrer getobt hatte, weil seine Frau gestorben war und das Kind lebte. Er hatte sich geweigert, den Jungen zu sehen, und als er sich endlich doch dazu entschloß, da war es ein so schwaches, elendes Kind, daß jederman prophezeite, es werde nur wenige Tage leben. Aber zur größten Überraschung aller vergingen die Wochen, und der Junge lebte weiter. Danach war man sicher, daß das Kind ein Krüppel werden würde.
    Mr. Craven hatte kein schlechter Vater sein wollen, aber er hatte sich überhaupt nicht als Vater gefühlt. Er hatte Arzte und Schwestern und Luxusgegenstände herbeordert, aber nie wirklich an Colin gedacht. Er hatte sich einfach in seinen Kummer vergraben.
    »Vielleicht habe ich mich zehn Jahre lang nicht richtig benommen«, sagte er zu sich selbst, während ihn die Eisenbahn über Bergpässe und goldene Täler trug. »Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Es mag zu spät sein, irgend etwas zu ändern. Viel zu spät! Was habe ich mir nur dabei gedacht?«
    Colin hätte ihm bestimmt gesagt, daß der neue Zauber nicht richtig wirken könne, wenn man an den Anfang das Wort »zu spät« setzte. Aber davon wußte Mr. Craven nichts. Das mußte er erst noch lernen. Er überlegte, ob Susan Sowerby ihm wohl so mutig geschrieben habe, weil sie in ihrer mütterlichen Art begriffen hatte, daß der Junge kränker geworden war.
    »Vielleicht dachte Susan Sowerby auch bloß, meine Gegenwart könne Colin gut tun und ihn aufrichten«, sinnierte er weiter. »Ich werde sie auf meinem Weg nach Misselthwaite aufsuchen.«
    Als er seinen Wagen an der Hütte im Moor halten ließ, liefen sieben oder acht Kinder, die dort spielten, herbei. Mit kleinen Verbeugungen und höflichen Redensarten wurde ihm der Bescheid zuteil, daß ihre Mutter ans andere Ende des Moors gegangen sei, um einer Frau zu helfen, die ein Kindchen bekomme. Dickon, fügten sie unaufgefordert hinzu, sei zum Herrenhaus gegangen, um in einem der Gärten zu arbeiten; das tue er ja fast jeden Tag.
    Mr. Craven besah sich die kleine Auswahl an gesunden, jungen Wesen mit ihren runden rotbackigen Gesichtern. Er konnte nicht anders, er mußte sich bekennen, daß die kleine Bande wirklich liebenswert aussah. Er lächelte ihnen zu und nahm ein Goldstück aus seiner Tasche. Er gab es Lisbeth-Ellen, weil sie die Älteste zu sein schien. »Teilt es unter euch«, sagte er.
    Dann fuhr er weiter, während die Kinder hinter ihm jubelten. Die Fahrt durch das geheimnisvoll schöne Moor hatte etwas Beruhigendes. Warum kam es ihm so vor, als freue er sich auf das Nachhause-Kommen? Er war doch sicher gewesen, daß er so etwas nie mehr empfinden würde, so wenig wie die Freude an der Schönheit dieses Landes, dieses Himmels, an der Purpurpracht seiner Blüten. Und doch erwärmte sich sein Herz, als er sich nun dem großen alten Haus näherte, das sechshundert Jahre lang seine Familie beherbergt hatte. Wie hatte es ihn fortgetrieben, als er das letztemal weggefahren war! Mit Schaudern hatte er an die verschlossenen Zimmer gedacht und an den Jungen, der in seinem Bett mit den vier Pfosten und den schweren Brokatvorhängen lag.
    Wie licht war sein Traum gewesen — wie wundervoll und klar hatte die Stimme ihm zugerufen: »Im Garten!«
    »Ich werde versuchen, den Schlüssel zu finden«, sagte er zu sich. »Ich werde mich bemühen, das Tor zu öffnen. Ich muß es tun, wiewohl ich nicht weiß, warum!«
    Als er im Herrenhaus

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