Der geheime Name: Roman (German Edition)
Füßen. Doch sie schien nicht aus ihrem Heimatdorf zu kommen, sondern von der anderen Seite. Durch den Wald, durch den der Weg viel zu lang war, als dass sich ein menschlicher Moorbesucher freiwillig von dieser Seite nähern würde.
Der Geheime drehte sich ihr entgegen, stieß seine spitze Nase in die Luft, als könnte er wittern, welche List sie mit sich führte. »Verlogenes, betrügerisches Menschenpack!«, zischte er. »Keine Ehre und keine Ehrlichkeit besitzen sie. Gierig sind sie: Alles wollen sie haben, und alles nehmen sie sich. Alles zähmen sie und unterwerfen es ihrem Nutzen. Hinterhältige Huren und Heuchler.« Er spuckte vor sich aus. »Nicht einmal sein Moor respektieren sie noch. Nicht einmal der Nebel lehrt sie noch das Fürchten. Breite befestigte Wanderwege bauen sich die Menschen, damit ihre hübschen Füße trocken bleiben.« Spöttisch ließ er seinen Kopf hin und her wackeln.
Wie als Antwort wurde das Beben des Wanderweges deutlicher, bis es sich dem Rhythmus menschlicher Schritte anglich.
Der Geheime zwang seine lose Zunge zu schweigen. Er grub die Füße tiefer in den Grund und kniff die Augen erneut zu schmalen Schlitzen zusammen, als versuchte er, den dichten Nebel mit seinem Blick zu durchdringen.
Das Beben hielt inne, zögerte, setzte sich schließlich so langsam fort, dass er ihr zurufen wollte, sie möge sich doch beeilen, nachdem sie seine Geduld so viele Wochen auf die Folter gespannt hatte!
Wieder kniff er die Augen zusammen, um ihre Gestalt hinter den grauen Schleiern ausfindig zu machen. Tatsächlich schob sich ein menschlicher Schatten durch den Nebel auf ihn zu. Die Konturen eines Menschenweibchens schälten sich langsam daraus hervor. Ihre langen, hellen Haare hingen über dem Mantel, mit dem sie sich zu schützen versuchte. Zu seiner Freude hielt sie etwas in den Armen.
Der Geheime sprang von einem Bein auf das andere. »So komm sie zu ihm, komm sie doch!« Er schielte auf das Salztor, das er auf dem Wanderweg für sie ausgelegt hatte. Noch konnte sie ihn nicht sehen. Erst musste sie darüber treten, um unter seinen Tarnkreis zu gelangen. »Er wartet auf sie, so komm sie doch!«
Das Weibchen streckte ihr Gesicht seiner Stimme entgegen. Es war nass von Tränen, ihre Augen rotgeweint.
Ihre Angst gefiel ihm. Sie trieb ein Prickeln durch seinen Körper, das ihn lebendig machte.
»Was für ein schönes Gesicht sie besitzt«, schnurrte er. »Wenn im Antlitz ihrer Tochter auch nur ein kleines bisschen von ihr zu finden ist …«
Das Weibchen zuckte zusammen. Ihr Blick huschte in seine Richtung, durchbohrte die Luft vor ihm und starrte angestrengt in die Leere um ihn herum.
»Nur wenige Schritte noch, dann ist sie bei ihm.« Der Geheime lockte sie, trat selbst noch näher an das Tor heran.
Auf einmal ertönte ein Laut aus dem Bündel auf ihren Armen, ein leises Quäken.
Das Weibchen erzitterte.
Der Geheime legte seinen Kopf zur Seite, ließ ihn auf seiner Schulter ruhen und versuchte, zwischen den Decken etwas zu erkennen.
Obwohl das Gesichtchen des Kindes gut verborgen blieb, zog ein warmes Gefühl durch seine Brust. Bald war das Kind sein!
Das Weibchen stand direkt vor seinem Tor. Ganz langsam ging sie den letzten Schritt – und erstarrte.
Endlich konnte sie ihn sehen. Er erkannte es an ihrem Entsetzen.
Der Geheime war es gewohnt, von Menschen für hässlich befunden zu werden – doch unter ihrem Blick verwandelte sich das warme Gefühl in ein eisiges Klirren. »Was starrt sie denn so? Viel zu lange hat sie ihn warten lassen! Nun gib sie ihm endlich, was ihm gehört!« Er streckte seine Arme nach dem Kind aus, wollte sein Gesicht über das Bündel beugen.
Das Weibchen wich vor ihm zurück, trat wieder über das Salztor und suchte ihn mit einer panischen Drehung.
»Törichtes Weibchen!«, fluchte der Geheime. »Sie muss hierbleiben, bei ihm. Es sind seine Regeln, die sie zu befolgen hat!«
Das Weibchen hielt den Atem an, abermals strömten Tränen über ihr Gesicht, ein unterdrücktes Wimmern entwich ihrer Kehle.
Der Geheime sprang hin und her. »Nun komm sie wieder zu ihm! Weiß sie denn nicht, dass er sie töten wird, wenn sie ihm nicht gehorcht?!«
Die Menschenfrau kam wieder näher, trat über sein Salztor und wischte die Tränen aus ihren Augen. »Du kannst mir mein Kind nicht nehmen!« Ein wütender Ausdruck tauchte auf ihrem Gesicht auf. »Ich gebe dir alles, was du willst, wenn du mir nur mein Kind lässt.«
Der Geheime umrundete das Weibchen,
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