Der geheime Stern
lag.
“Nein, sie sitzen in keiner Zelle.” Er fand es reizend, wie sie sich sträubte, wie sie versuchte, sich den Regeln zu widersetzen. “Ich vermute, Ihre Freundinnen sind gerade dabei, Ihre Beerdigung zu planen, Grace.”
“Meine …” Ihre herrlichen Augen wurden riesig. “Du meine Güte. Sie haben ihnen gesagt, dass ich tot bin? M.J. und Bailey glauben, ich bin tot? Wo sind sie? Wo ist das verdammte Telefon? Ich muss sie anrufen!” Sie fuhr herum, um in dem Durcheinander nach dem Telefon zu suchen.
“Sie sind beide nicht zu Hause.”
“Aber Sie sagten, sie wären nicht im Gefängnis.”
“Sind sie auch nicht.” Er erkannte, dass er nichts aus ihr herausbekommen würde, solange sie nicht mit ihren Freundinnen gesprochen hatte. “Ich bringe Sie zu ihnen, wenn Sie wollen. Und dann werden wir Ordnung in dieses Chaos bringen, das verspreche ich Ihnen.”
Auf der Fahrt durch die schmucke Washingtoner Vorstadt schwieg Grace beharrlich. Lieutenant Buchanan hatte ihr versichert, dass es Bailey und M.J. gut ging, und ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass er sie nicht anlog. Die Wahrheit war in seinem Beruf schließlich das Wichtigste. Und doch verkrampfte sie die Hände so heftig ineinander, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten.
Sie musste sie so schnell wie möglich sehen, und sie musste mit ihnen sprechen. Es tat ihr entsetzlich leid, dass ihre Freundinnen um sie trauerten, nur weil sie mal wieder beschlossen hatte, für ein paar Tage unterzutauchen.
Was hatten die beiden an diesem Wochenende erlebt? Hatten sie versucht, Kontakt zu ihr aufzunehmen? Eines jedenfalls stand fest: Die drei blauen Diamanten, die Bailey für das Museum hatte begutachten sollen, waren der Grund für dieses heillose Durcheinander.
Als sie erneut an den Kreideumriss auf dem Boden dachte, erschauerte sie. Melissa. Arme, bedauernswerte Melissa. Doch darüber konnte sie jetzt nicht nachdenken. Sie konnte an überhaupt nichts anderes denken als an Bailey und M.J.
“Und die beiden sind nicht verletzt?”, fragte sie schließlich.
“Nein.” Mehr sagte Seth nicht. Ihr Duft hing seidenweich und verlockend in der Luft. Schnell öffnete er eines der Wagenfenster, um ihn zu vertreiben. “Wo waren Sie die letzten Tage, Ms. Fontaine?”
“Weg.” Erschöpft lehnte sie den Kopf zurück. “An einem meiner Lieblingsorte.”
Sie setzte sich wieder auf, als er in die Auffahrt zu einem imposanten Backsteingebäude einbog. Sie sah einen glänzenden Jaguar und ein unglaublich heruntergekommenes Schiff von einem Auto davor parken. Aber keinen schicken MG und auch keinen praktischen Kleinwagen.
“Ihre Autos sind nicht da.” Vorwurfsvoll blickte sie ihn an.
“Aber sie sind da.”
Grace stieg aus, eilte auf die Eingangstür zu und klopfte laut. Die Tür schwang auf, ein Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte, starrte sie an. Seine kühlen grünen Augen blitzten erschrocken auf, dann wurde sein Blick warm. Er lächelte sie an, legte eine Hand an ihre Wange.
“Sie sind Grace.”
“Ja, ich …”
“Es ist absolut fantastisch, Sie zu sehen.” Er zog sie so erleichtert und dankbar in seine Arme – wovon einer bandagiert war –, dass sie nicht einmal Zeit hatte, überrascht zu sein. “Ich bin Cade”, murmelte er. “Cade Parris. Kommen Sie doch rein.”
“Bailey und M.J. …”
“Sie sind hier. Und es wird ihnen verdammt guttun, Sie zu sehen.”
Er nahm sie bei der Hand und zog sie ins Haus. Seth folgte ihnen schweigend.
Bailey und M.J. standen mit dem Rücken zur Tür im Wohnzimmer und unterhielten sich leise. Ein anderer Mann stand etwas abseits, die Hände in den Hosentaschen vergraben, und betrachtete sie mit einem hilflosen Ausdruck auf seinem zerschundenen Gesicht. Als er Grace eintreten sah, weiteten sich seine Augen und nahmen die Farbe von grauen Sturmwolken an. Dann lächelte er.
Grace holte zitternd Luft und atmete langsam wieder aus. “Nun”, sagte sie mit klarer und fester Stimme. “Es ist schön zu wissen, dass es Leute gibt, die über meinen Tod untröstlich sind.”
Die beiden Frauen wirbelten herum. Einen Moment lang starrten sie Grace nur an. Dann liefen sie alle drei aufeinander zu, flogen sich in die Arme. Körper, Stimmen und Tränen vermischten sich.
Ein Dreieck, dachte Seth mit gerunzelter Stirn. Drei tief miteinander verbundene Menschen, die zusammen ein Ganzes ergeben. Wie das goldene Dreieck mit den drei unbezahlbaren blauen Diamanten.
“Ich glaube, sie brauchen etwas Zeit für
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