Der geheime Zoo 1
heraus. «Schnell!»
«Was ist?!»
«Komm schnell!»
Sie lief voran durch das Haus, und Noah folgte ihr bis in den Garten und ins Baumhaus hinauf.
«Was willst du –?»
Megan nahm das Fernglas und hielt es ihrem Bruder hin. «Hier!»
«Was heißt ‹hier›?»
«Guck durch!» Sie deutete auf die Hausdächer. «Da drüben – ich habe da gerade Affen gesehen!»
«Megan …»
«Ich habe Affen gesehen! Auf den Hausdächern!»
Ihr älterer Bruder sah sie prüfend an. «Du spinnst doch.»
«Guck doch selbst!»
Noah blickte durch das Fernglas. Lange betrachtete er schweigend die Landschaft. Dann reichte er seiner Schwester das Fernglas zurück und sagte: «Ich hab doch gesagt: Du spinnst.»
«Noah! Ich habe sie gesehen, glaub mir doch, ich –»
Doch er kletterte schon die Strickleiter hinab. «Was machst du überhaupt so spät noch hier draußen?», fragte er. «Du bist so was von erledigt, wenn Mom dich erwischt.» Er landete auf dem Boden und drehte sich zum Haus. «Komm mit rein!»
Megan sah ihm nach, wie er zum Haus zurücklief und die Tür hinter sich schloss. Dann drehte sie sich wieder zu den Dächern um und suchte beinahe eine Stunde lang die Landschaft ab, doch nichts Ungewöhnliches geschah.
«Ich weiß, dass ich sie gesehen habe», sagte sie, wie um sich selbst zu überzeugen.
Schließlich kletterte sie vom Baumhaus herunter, kehrte ins Haus zurück, fiel ins Bett und starrte an die Decke.
Sie konnte nicht schlafen. Um zwei Uhr morgens rollte sie sich schließlich aus dem Bett und setzte sich an ihren Schreibtisch. Nervös trommelte sie mit den Fingern auf der Tischplatte und blickte sich in ihrem Zimmer um. Ihr Blick fiel auf ein Buch, das auf dem Rand des Schreibtisches lag. Es war ein Tagebuch. Ihre Mutter hatte es ihr vor kurzem geschenkt, und sie hatte bisher noch nichts hineingeschrieben.
Megan nahm es und schlug die erste Seite auf. Sie musste den Einband herunterdrücken, damit es flach lag, so neu war er noch. Sie starrte auf die erste Seite. Sie war ziemlich bunt – rotes Papier mit lila Linien und blauen Sternen in den Ecken.
In der Schule hatten sie etwas über Brainstorming gelernt. Dabei sollte man so schnell wie möglich seine eigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte gesagt, auf diese Weise könnte man Sachverhalte verstehen, die auf den ersten Blick keinen Sinn ergaben. Megan griff nach einem Bleistift, kauten einen Moment lang auf dem Radiergummi am Ende herum und begann zu schreiben:
Datum:
18
. Juli
Zeit:
2
:
15
Uhr
Ich bin rausgegangen, weil ich mal wieder meine dumme Brille im Baumhaus vergessen hatte. Als ich raufkletterte …
***
Sie schrieb eine Stunde lang. Dann klappte sie das Tagebuch zu, legte es weg, schaltete das Licht aus und kletterte wieder ins Bett. Einen Moment später war sie eingeschlafen, ohne zu wissen, dass sie gerade die ersten Seiten eines Tagebuchs vollgeschrieben hatte, das schon bald die Welt verändern sollte.
Der Fund
2. Oktober
V ierzehn rotäugige Baumfrösche hüpften den langen Gang im Zoo entlang. Sie sprangen und purzelten übereinander, während sie vorandrängten. Plopp! Plopp! Plopp! Plopp! Ihre klebrigen Füße knallten auf den Fußboden wie Chinaböller.
Hundert Aquarien waren in die Wände eingelassen. Hin und wieder sprang einer der Frösche hinauf und blieb ein paar Sekunden lang am Glas kleben.
Die vierzehn rotäugigen Baumfrösche sprangen bis zu einer kleinen Ausstellung am Ende des Ganges – vor kurzem war hier ein kleines Mädchen hineingegangen. Was sie befürchtet hatten, war geschehen: Das Mädchen war verschwunden.
Drei Seiten aus einem Tagebuch lagen auf dem Boden – farbige rote Seiten mit lila Linien und blauen Sternen in den Ecken. Die Seiten waren zerknittert und flatterten immer noch, als die Frösche sich ihnen näherten.
Die vierzehn rotäugigen Baumfrösche wussten nicht, dass die Blätter aus dem Tagebuch eines Mädchens namens Megan Nowicki stammten, die vor kurzem gesehen hatte, wie Affen aus dem Zoo entkamen. Sie starrten auf die Seiten. Dann hoben sie sie mit ihren langen, klebrigen Zungen auf.
Und so fing die Geschichte an.
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1. Kapitel Wie alles begann
23. Oktober
V
ermisst!
Noah hob den Zettel vom Boden auf und las das Wort noch einmal. Den Rest des Weges hielt er beim Gehen die Augen fest auf das pixelige Schwarzweißfoto seiner Schwester gerichtet – und auf das Wort, das ihn seit drei Wochen verfolgte:
Vermisst!
Noch bis vor kurzem hatte er
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