Auf Befehl des Koenigs
Prolog
Schottland, 1100
Die Totenwache war vorbei. Endlich würde Alec Kincaids Frau ihre letzte Ruhe finden. Die Gesichter der wenigen Clanmitglieder, die sich um die Grabstätte auf dem kahlen Hügel versammelt hatten, wirkten so düster wie der graue Himmel.
Helena Louise Kincaid wurde in ungeweihtem Boden bestattet, denn die junge Frau des mächtigen Clanführers hatte sich das Leben genommen. Deshalb blieb ihr der christliche Friedhof verschlossen. Verstorbene, die eine so schwere Schuld auf sich geladen hatten, durften nicht in geweihter Erde liegen. So lautete ein Kirchengebot. Eine schwarze Seele gleiche einem faulen Apfel, behaupteten die Geistlichen, und der Gedanke, eine faulige Seele könnte all die vielen reinen in ihren Gräbern besudeln, war grauenvoll.
Strömender Regen fiel auf die Trauergäste herab. Die Leiche, in ein rot, schwarz und violett kariertes Kincaid-Tuch gewickelt, war triefnass und seltsam schwer, als sie in den Sarg aus Kiefernholz gebettet wurde. Diese Aufgabe übernahm Alec ganz allein. Kein anderer sollte seine tote Frau berühren.
Vater Murdock, der alte Priester, stand in respektvoller Entfernung von den anderen und fühlte sich sehr unbehaglich angesichts der mangelhaften Zeremonie. An den Gräbern von Selbstmördern sprach man keine Gebete. Und welchen Trost sollte er den Hinterbliebenen spenden, wenn doch alle wussten, dass sich Helena bereits auf dem Weg zur Hölle befand?
Es war nicht leicht für mich. Ich stehe neben einem Priester, mit ebenso feierlicher Miene wie die anderen Clanmitglieder, und ich bete sogar – aber nicht für Helenas Seele. Nein, ich danke dem Allmächtigen, weil es endlich vorüber ist.
Helena brauchte sehr lange, um zu sterben. Drei ganze Tage voller Schmerz und Ungewissheit musste ich ertragen und verzweifelt hoffen, sie würde die Augen nicht mehr öffnen, die vernichtende Wahrheit niemals aussprechen.
Kincaids Frau bereitete mir Folterqualen, indem sie sich so lange Zeit ließ, ehe sie endlich ihren letzten Atemzug tat. Selbstverständlich peinigte sie mich mit voller Absicht. Doch dann fand ich eine Gelegenheit, das grausame Spiel zu beenden und die wollene Kincaid-Decke auf Helenas Gesicht zu drücken. Es dauerte nur wenige Minuten. Geschwächt, wie sie war, leistete sie kaum Widerstand.
O Gott, welch eine Genugtuung ich in jenem Augenblick empfand! Die Angst, ertappt zu werden, trieb mir den Schweiß aus allen Poren. Und gleichzeitig erschauerte ich vor Freude über meine Tat.
Niemand kann mir den Mord nachweisen. Oh, wie gern würde ich mich mit meiner Tücke brüsten! Aber natürlich darf ich kein Wort sagen. Und ich wage es auch nicht, mein Glück zu zeigen. fetzt richte ich mein Augenmerk auf Alec Kincaid. Helenas Witwer steht neben der Grube, die Hände geballt, den Kopf gesenkt. Ist er böse oder traurig über den sündigen Tod seiner Frau? Man kann nie wissen, was in ihm vorgeht, weil er seine Gefühle stets sorgsam verbirgt.
Was Kincaid jetzt verspürt, kümmert mich nicht. Mit der Zeit wird er über ihren Tod hinwegkommen. Auch ich brauche Zeit, ehe ich ihn auffordern werde, mir meinen rechtmäßigen Platz zuzubilligen.
Plötzlich hustet der Priester. Ein heiseres Krächzen lenkt meinen Blick wieder auf ihn. Er sieht aus, als wollte er weinen, und ich starre ihn an, bis er seine Fassung zurückgewinnt. Dann beginnt er den Kopf zu schütteln. Jetzt weiß ich, was er denkt. Deutlich verrät sein Gesicht den Gedanken, für alle sichtbar.
Kincaids Frau hat sie alle beschämt.
Gott helfe mir, ich darf nicht lachen.
Kapitel 1
England, 1102
Angeblich hatte er seine erste Frau getötet.
Papa meinte, vielleicht sei es nötig gewesen. Eine unglückseligere Bemerkung konnte ein Vater in Gegenwart seiner Töchter gar nicht machen, und Baron Jamison erkannte seinen Fehler, sobald er die Worte ausgesprochen hatte. Natürlich bereute er sie sofort.
Drei seiner vier Töchter hatten sich die üblen Klatschgeschichten über Alec Kincaid bereits zu Herzen genommen. Und was der Vater von dieser Ungeheuerlichkeit hielt, beeindruckte sie wenig. Agnes und Alice, die Zwillinge, schluchzten laut, noch dazu im Gleichklang, wie es ihre ärgerliche Gewohnheit war. Und die ansonsten so sanftmütige Mary eilte erregt um den langen Tisch in der großen Halle herum, wo ihr Vater zusammengesunken vor einem Becher Ale saß, in der Hoffnung, das Getränk würde seine Schuldgefühle lindern. Untermalt vom entrüsteten Geheul der Schwestern,
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