Der gekreuzigte Teufel
Trompeten gleich —, aus denen Hymnen des Eigenlobs und der Selbstverherrlichung erschallten. Der Teufel hatte einen Mund auf der Stirn und einen am Hinterkopf. Sein Wanst hing herab, als sei er im Begriff, alles Böse der Welt zu gebären. Seine Haut war rötlich, wie die eines Schweines. Als er dem Kreuz näherkam, begann er zu zittern und wandte seinen Blick der Finsternis zu, als versengte ihm das Licht die Augen. Er stöhnte, bettelte, daß man ihn nicht kreuzige, schwor, daß er und seine Jünger den Menschen niemals mehr die Erde zur Hölle machen würden. Doch die Menschen riefen wie im Chor: »Wir kennen jetzt die Geheimnisse der vielen Gewänder, unter denen sich deine Verschlagenheit verbirgt. Du mordest — dann besuchst du Witwen und Waisen im Gewand des Mitleids und trocknest ihre Tränen. Um Mitternacht stiehlst du den Menschen die Nahrung aus den Vorratshäusern, und tagt dann der Morgen, besuchst du die Opfer im Gewand der Wohltätigkeit — du schenkst ihnen eine Kalebasse, gefüllt mit dem Getreide, das du gestohlen hast. Allein um deine eigenen Gelüste zu befriedigen, überschüttest du diese Welt mit Unzucht, dann legst du das Gewand der Rechtschaffenheit an und rufst die Menschen auf, Buße zu tun und dir auf dem Pfad der Reinheit nachzufolgen. Du bemächtigst dich des Eigentums anderer, dann hüllst du dich in das Gewand der Freundschaft und bittest die Menschen, mit dir die Verfolgung des Bösewichts aufzunehmen, der sie bestohlen hat.« Darauf schlugen die Menschen den Teufel sofort ans Kreuz und gingen, Siegeslieder singend, weg. Drei Tage später kamen andere Menschen. Diese trugen Anzug und Krawatte, hielten sich eng imSchatten der Mauer aus Finsternis und nahmen den Teufel vom Kreuz ab. Sie knieten vor ihm nieder, beteten ihn mit lauter Stimme an und flehten ihn an, er möge ihnen einen Teil seiner Tarngewänder überlassen. Da schwollen ihre Bäuche an, sie erhoben sich, sie streichelten ihre riesigen Wänste, die nun alles Böse dieser Welt geerbt hatten, und kamen mit lautem Gelächter auf Wariinga zu …
Wariinga schrak auf. Sie schaute um sich. Ihr Bewußtsein kehrte wie von einer langen Reise allmählich zurück. Sie sah, daß sie immer noch am selben Ort war — Racecourse Road, Bushaltestelle Kaka Hotel nahe der Kirche St. Peter's Ciavers. Ihr wurde klar, daß die Stimmen, die sie gehört hatte, nichts anderes gewesen waren als die Geräusche der fahrenden und hupenden Autos. Sie stellte sich mehrere Fragen:
»Wie bin ich überhaupt hierher gekommen? Welcher Wind hat mich hergeweht? Ich erinnere mich daran, daß ich in Ofafa Jericho den 78er Bus nahm. Er fuhr durch Jerusalem und Bahati, bog dann in die Jogoo Road ein, passierte den Busbahnhof Macaaku und … oh ja … ich war doch auf dem Weg zur Universität, um meinen Freund John Kimwana zum letzten Mal zu sehen … Ich stieg an der Haltestelle vor dem Gebäude des Nationalarchivs aus, neben der chemischen Reinigung Withe Rose. Dann ging ich an der Koonja-Moschee vorbei die Tom Mboya Street hinunter. Ich durchquerte beim Garden Hotel den Jeevanjee Park, und blieb an der Ecke stehen, wo die Harry Thuku- und die University Street zusammenlaufen, genau gegenüber der Hauptpolizeiwache. Hatte ich dort kehrtgemacht? Als ich nämlich die Gebäude der Universität vor mir sah, vor allem das, in dem die Ingenieure ausgebildet werden, holten mich die Träume meiner Jugend ein, aus jener Zeit, als ich noch in Baharini zur Grundschule ging und danach die Nakuru Day Secondary besuchte. Und ich dachte daran, wie der Reiche Alte Mann aus Ngorika später meine Träume in den Staub trat. Als sich diese Erinnerungen mit dem Gedanken an John Kimwana vermischten — der mich gestern abend verließ, als mir das Wasser bis zum Hals reichte —, brannte mir der Schmerz wie Feuer im Kopf und im Herzen; Zorn schien mich ersticken zu wollen … Was tat ich dann als nächstes? Wohin ging ich? Oh, mein Gott, wo ist meine Handtasche? Wo habe ich sie verloren? Woher werde ich das Fahrgeld nach Ilmorog nehmen?«
Erneut schaute sich Wariinga nach allen Seiten um. Da fiel ihr Blick auf den Mann, der sie an der rechten Hand genommen und zu den Stufen des Schönheitssalons geführt hatte.
»Hier. Hier ist deine Tasche«, sagte der Mann und gab ihr eine schwarze Handtasche, die auf der einen Seite mit einem Streifen Zebrafell verziert war.
Sitzend nahm Wariinga ihre Handtasche und warf ihm einen fragenden Blick zu. Er hatte ein jugendliches Aussehen, sein
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