Der Gentleman
Sie nicht liebt oder zumindest geliebt hat?«
»Jedenfalls kommen Sie bei ihm weit vor mir.«
»Ach was!«
»Doch, doch, das hat er nie verleugnet. Außerdem spürt man das als Frau, ohne daß es einem extra gesagt wird. Das wissen Sie selbst genau, Frau Sorant.«
Beide schwiegen einige Sekunden lang. Gerti lag innerlich im Kampf mit sich selber. Dann sagte sie aber: »So wie er kann man sich als Ehemann nicht benehmen!«
Ihren Schmerz bezwingend, lächelte Lucia.
»Er ist Künstler«, sagte sie leise. »Man kann ihn nicht mit normalen Maßstäben messen.«
»Grenzen gibt's bei jedem.«
»Er liebt Sie, Frau Sorant, mehr denn je.«
»Das hat er mir noch nicht gesagt.«
»Er hat's geschrieben, und das wiegt schwerer.«
»Geschrieben?«
»Ich kann's Ihnen zeigen …«
Lucia holte aus dem Schlafzimmer, das von der Küche aus direkt zu erreichen war, Roberts folgenschweren Brief herbei und reichte ihn Gerti zum Lesen.
Lange blieb es still. Gerti las den Brief zweimal. Sie ließ ihn dann auf ihre Knie sinken und blickte Lucia an.
»Er ist ein Beweis«, sagte diese.
Ein Aufruhr tobte in Gerti, ein Aufruhr der nie erloschenen Liebe zu Robert. Nur noch ein Rest von Mißtrauen mußte beseitigt werden.
»Warum hat er den Brief nicht abgesandt?« fragte sie.
Lucia erklärte ihr die näheren Umstände. Sie schonte sich nicht. Sie gestand, den Brief entdeckt, an sich genommen und geöffnet zu haben.
»Sie werden mich dafür natürlich verurteilen«, sagte sie zu Gerti.
»Ich Sie dafür verurteilen?« rief Gerti. »Was glauben Sie, was ich gemacht hätte?«
Erlöst lachte Lucia auf, und dann ergab es sich irgendwie von selbst, daß sich die beiden Frauen in die Arme fielen. Lucia war die jüngere und ließ Gerti jeweils den Vortritt. Lucia wurde gedrückt und drückte zurück; sie wurde auf die Wange geküßt und küßte zurück.
»Sie sind ein wunderbares Mädchen, Lucia«, sagte Gerti. »Eigentlich kann ich diesen Schuft verstehen.«
Immer schimmerte der Schmerz durch, wenn Lucia lächelte – aber sie lächelte.
»Sie sind noch wunderbarer, Frau Sorant.«
»Sagen Sie Gerti zu mir.«
»Gerti.«
»Aber eins hätte ich nicht gemacht, Lucia; dazu hätte mich der Brief nicht verleiten können.«
»Zu was nicht?«
»Zu den verdammten Tabletten.«
Lucia schwieg schuldbewußt.
»Das ist kein Mann wert, Lucia«, sagte Gerti mit aller Eindringlichkeit, deren sie fähig war. »Kein einziger!«
Wieder lächelte Lucia ein wenig schmerzlich.
Die beiden lösten sich voneinander. Gerti blickte zur Tür, die ins Wohnzimmer führte. Sie sagte dabei: »Dem werde ich die Hölle heiß machen! Der kann sich auf etwas gefaßt machen!«
Lucia seufzte, sie hatte etwas auf dem Herzen – einen Rat. Als die deutlich Jüngere hatte sie jedoch Hemmungen, damit gleich herauszurücken.
»Ist was?« fragte Gerti.
»Wissen Sie«, antwortete Lucia zögernd, »was ich an Ihrer Stelle tun würde?«
»Was?«
»Hoffentlich verübeln Sie mir das nicht, was ich jetzt sage.«
»Was würden Sie tun – sagen Sie's!«
»Zusehen, daß ihr ein Kind bekommt.«
Überrascht blickte Gerti.
»Das würde nämlich«, fuhr Lucia schnell fort, da sie fürchtete, eine Scharte auswetzen zu müssen, »Ihren Mann ändern, glaube ich, ihn solider machen. Das klingt so blöd, ja, aber ich weiß nicht, wie ich mich anders ausdrücken soll. Verstehen Sie, was ich meine, Gerti? Bis jetzt hatte in Ihrem Mann der Künstler das Übergewicht, und der müßte ein bißchen zurückgedrängt werden. Dazu wäre, denke ich, ein Kind das beste Mittel. Ich kenne alle seine Bücher, an manchen Stellen kommt darin zum Durchbruch –«
»Lucia«, fiel ihr Gerti ins Wort, »Sie sind ja ein Genie, Sie müssen mir gar nichts mehr sagen. Wissen Sie, was ich Ihnen jetzt verrate – aber unter dem Siegel der Verschwiegenheit?«
»Was?«
»Ich bin in anderen Umständen.«
»Von Robert?« fragte Lucia wie aus der Pistole geschossen.
Gerti lachte.
»Hören Sie mal, von wem den sonst?«
»Weiß er's schon?«
»Nein. Es kann erst vor zwei Monaten passiert sein. Zunächst war ich nicht sicher genug, um es ihm zu sagen, und dann fuhr er nach Altenbach.«
»O Gott!« stieß Lucia konsterniert hervor, dann setzte sie hinzu: »Und hier entwickelte sich das mit mir. Glauben Sie mir, wenn ich das gewußt hätte –«
Gerti unterbrach sie: »Sie konnten es nicht wissen, machen Sie sich also deshalb keine Vorwürfe.«
»Trotzdem –«
»Nein, wer sich Vorwürfe machen
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