Der Geruch von Blut Thriller
praktisch veranlagt, was ihre Mitmenschen betrifft. Sie hat recherchiert, stundenlang im Internet nach Informationen gesucht und sie ihm in seinem Büro vorgelesen, um ihn zur Einsicht zu bringen. Sie glaubt, er habe Halluzinationen oder Wachträume.
Judith hat Texte, die das praktisch beweisen. Sie schnippt ständig mit dem Finger gegen die Seiten, während sie ausgewählte Absätze wiederholt laut vorliest. Sie bewegt sich auf dünnem Eis. Wenn man bedenkt, dass ihr Kind Onlinespiele mit Senegalesen spielt und ihr Mann es vorzieht, leere Lagerhäuser zu bewachen, statt mit ihr zusammen zu sein, sollte sie sich nicht so verdammt wohl dabei fühlen, Finn den ganzen Abend Artikel vorzulesen, aus denen hervorgeht, wie verrückt er angeblich ist.
Er umklammert seinen Gehstock und sagt: »Ich komme damit klar.«
F inn läuft die riesige Treppe hinunter, ohne sich am Geländer festzuhalten, stattdessen streift er mit Zeige- und Mittelfinger an der Wand entlang. Er fühlt sich mit der Geschichte der Schule verbunden und spürt die Staub- und Farbschichten unter seiner Hand, all die zuckenden Geister, die dort eingeschlossen sind.
Seine Fingerspitzen kribbeln, als sie über das weiche alte Eichenholz fahren. Es ist, als gehe man ein Jahrhundert in der Zeit zurück. Stufe für Stufe läuft er die Treppe hinunter, und selbst nach all den Jahren wird er das Gefühl nicht los, direkt in die Erde hinabzusteigen. In sein eigenes Grab.
Unten erwartet ihn der unebene Schieferboden, auf dem er manchmal stolpert, aber das tun alle. Die Mädchen fallen hin und schlagen sich die Knie auf, und die Rucksäcke fliegen durch die Gegend. Er muss auf die feinen Verschiebungen achten. Im Boden, in seiner Laufrichtung, bei den Menschen.
Duchess hat ein Tablett mit selbst gebackenen Keksen auf einem Tisch in der Eingangshalle stehen lassen. Er riecht, dass sie noch frisch sind. Schokoladenkekse mit Macadamianüssen. Das Wasser läuft ihm im Mund zusammen.
Er sieht Duchess mit einem großen Holzlöffel oder einer Schöpfkelle in den Töpfen rühren. Das ist sein unterbewusstes Bild von einer Köchin, und es führt ihm vor Augen, wie fantasielos seine tief verwurzelten Vorstellungen
sein können. Duchess ist die Hausmutter und Küchenchefin. Sie wohnt im Westflügel, gegenüber von Roz. Sie ist eine sechzigjährige Schwarze aus der South Bronx, die mit einer Mischung aus Straßenschläue, Einschüchterung und unglaublichen Kochkünsten alles unter Kontrolle hält. Sie ist groß, breit, hat üppige Hüften, rempelt ihn ständig an und entschuldigt sich dafür. Das ist irgendwie sexy, aber für ihn ist inzwischen alles irgendwie sexy. Es braucht ihm nur jemand mit den Fingern über die Hand zu streichen, und schon kriegt er einen Ständer.
Ihre Stimme kommt von oben, was bedeutet, dass sie über eins achtzig ist, zumindest in Schuhen. Ihr Lachen kommt tief aus dem Bauch und mit einer Wucht wie ein Überschallknall. Manchmal lässt es ihn einen Schritt zurückweichen. Wenn Roz und Duchess einen ihrer kleinen Einkaufsbummel machen, fühlt er sich doppelt so allein.
Finn merkt, dass sich jemand von hinten anschleicht.
Es ist nur ein Scherz. Die Mädchen wollen sich amüsieren. Sie wollen ihn aus der Reserve locken.
Noch so ein billiger Trick. Die Leute denken, sie sind lautlos wie ein Ninja, nur weil sie selbst nichts hören außer ihrem Atem und ihrem Herzschlag. Inzwischen spielt er das Spiel gerne mit. Viel anderes hat er sowieso nicht zu tun.
Er strafft die Schultern, reißt den Stock herum und trifft auf einen menschlichen Körper.
»Au!«
Dann das Gelächter, ein freches Kichern aus zwei Mündern.
Vi ist nicht dabei.
»Hey, Mr. Finn, heute Abend ist Party bei uns.« Das ist Sally. »Fängt an, wenn es dunkel wird, und geht bis zum Morgengrauen!«
»Warum sollte es heute Abend anders sein?«, fragt er.
»Kommen Sie vorbei?« Das ist Suzy. »Dann rocken wir alle zusammen ab? Wir lassen es richtig krachen, das können Sie uns glauben. Könnten Sie uns vielleicht ein Fass Bier organisieren?«
Sie heißen beide Smyth, obwohl sie nicht verwandt sind. Sie gehören zu den ernsthaft gefährdeten Schülerinnen, werden dauernd mit Marihuana erwischt und schleichen sich davon, um mit den Jungs durch die Hügel zu fahren. In der Stadt fände man das normal, aber hier draußen in der Pampa macht er sich Sorgen. Es ist einfach schrecklich langweilig hier. Natürlich werden sie in Schwierigkeiten geraten. Er hat sich eingeredet, dass sie
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