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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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dem Durchgang, der das Büro mit dem übrigen Gebäude verband, teilte sich und der Junge mit dem Zopf tauchte auf. Ich hatte nicht damit gerechnet, ihn so schnell wieder zu sehen, und mir blieb beinahe die Luft weg. Lässig gegen die Holzverkleidung des Durchganges gelehnt, stand er da und sah überhaupt nicht aus wie ein Wetterfrosch, eher wie ein richtiger Prinz. Sesam öffne dich, wünschte ich inständig, um durch einen Zauber in der Wand verschwinden zu können, aber es funktionierte nicht. Ich war immer noch da.
    Â»Mein Sohn Javid«, sagte Freda, mit einem deutlichen Anflug von Stolz in der Stimme.
    Auch das noch, dachte ich. Aber meine Starre löste sich langsam und ich konnte auch wieder atmen. Javid hatte beeindruckend schwarze Augen und dunkle Haut wie seine Mutter. Sein Zopf, der ihm schwarz und glänzend auf der Brust lag, war unglaublich lang. Er musterte mich erneut mit diesem rätselhaften Blick, sehr viel länger, als die Höflichkeit es zuließ.Ich wurde rot, hoffte aber, dass man das bei der miserablen Beleuchtung nicht sah.
    Â»Hi, Javid«, sagte mein Vater. »Du bist wohl der Wetterexperte von Neah Bay?«
    Der Junge zuckte die Achseln. »Hab eben im Radio den Wetterbericht gehört.«
    Â»Was kostet denn so eine Tour?«, wandte sich mein Vater an Freda.
    Â»Bei vier Leuten macht es 50 Dollar pro Person«, antwortete Javid an ihrer Stelle. »Manchmal lohnt es sich nicht, aber zurzeit sind fünf Orcas draußen.«
    Â»Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass wir sie auch sehen?«, wollte Papa wissen.
    Javid verschränkte die Arme vor der Brust. »Mein Onkel versteht sein Geschäft. Aber eine Garantie gibt es natürlich nicht. Die Orcas jagen dort, wo sie die meiste Beute finden, und wir müssen sie dabei finden.«
    Ich wusste genau, was mein Vater jetzt dachte. Fünfzig Dollar war eine Menge Geld für einen Bootsausflug ohne die Garantie, dabei auch Wale zu sehen. »Was denkst du?«, wandte er sich an mich.
    Wollte er die Entscheidung tatsächlich mir überlassen? Hatte ich auch mal was zu sagen? Was glaubte er denn? Natürlich wollte ich die Orcas unbedingt sehen! Außerdem spürte ich, dass wir Javid und Freda einen Gefallen tun konnten, und das wollte ich gern.
    Â»Ich möchte mitfahren«, sagte ich. »Es macht mir nichts aus, wenn es regnet.«
    Zum ersten Mal kam richtig Bewegung in Javids Gesicht. Er lächelte mir zu, als hätte ich eine weise Entscheidung getroffen. »Na, dann halb zehn am kleinen Hafen. Das Boot meines Onkels heißt Victoria und liegt am letzten Steg.« So unvermittelt, wie er gekommen war, verschwand er hinter dem Vorhang und Freda griff zum Telefonhörer, um dem Ehepaar aus Arizona und ihrem Bruder Henry Bescheid zu geben.
    Mein Vater blieb noch kurz vor meinem Zimmer stehen. »Ich dachte, das Kapitel Wale hättest du längst abgeschlossen«, sagte er.
    Ich zuckte die Achseln. »Sie im Meer zu beobachten ist was anderes, als sie im Fernsehen zu sehen.«
    Â»Na ja, hoffentlich klappt es auch. Mir scheint, dass das Geschäft mit den Walbeobachtungstouren hier nicht gerade boomt, wenn sie nur mit Mühe und Not vier Leute zusammenkriegen.«
    Â»Vielleicht kommen nur wenige Touristen nach Neah Bay.«
    Â»Da könntest du Recht haben«, sagte er. »Es ist ein merkwürdiger Ort. Und die Makah sind seltsame Menschen.«
    Ich fand Javid und seine Mutter überhaupt nicht seltsam. Im Gegenteil, ihre zurückhaltende und doch freundliche Art gefiel mir.
    Â»Wir haben ja noch nicht viele kennen gelernt«, bemerkte ich.
    Â»Stimmt.« Er lächelte. »Die beiden sind ganz okay. Und vielleicht regnet es morgen tatsächlich nicht, dann sieht die Welt schon ganz anders aus. Schlaf gut!«, sagte er.
    Â»Du auch, Papa.«
    Natürlich hätten wir auch diesmal ein gemeinsames Zimmer nehmen können. Dann hätte mein Vater eine Menge Geld gespart, weil er vom VARGAS-Verlag nur die Kosten für ein Motelzimmer erstattet bekam und nicht für zwei. Aber irgendwie hatte das nie zur Debatte gestanden. Ich wusste, dass mein Vater schlecht schlief, seit Mama nicht mehr da war, und er nachts noch lange arbeitete oder las. Außerdem respektierte jeder von uns, dass der andere einen Ort brauchte, an den er sich zurückziehen konnte. Ich war jedenfalls sehr froh mein eigenes Zimmer zu haben.
    Obwohl Papa und ich die einzigen

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