Der Gesang der Orcas
Gäste in der oberen Etage waren, schloss ich meine Zimmertür ab und zog die Vorhänge zu. Dann nahm ich eine heiÃe Dusche. In der feucht-warmen Enge des winzigen Badezimmers kringelten sich meine Haare wie wild gewordene Angelwürmer und ich brauchte hinterher lange,bis sie sich mit der Bürste durchkämmen lieÃen.
Missmutig blickte ich in den groÃen Spiegel an der Wand hinter dem Schreibtisch. Früher einmal, da hatte ich mich gemocht, so wie ich war. Seit Mama nicht mehr da war, kam ich mir wie zerbrochen vor. Ich hatte das Gefühl, nur noch aus Einzelteilen zu bestehen, und keines davon erschien mir liebenswert.
Ich zog mein Nachthemd an, ein groÃes T-Shirt, das einmal meiner Mutter gehört hatte, und legte mich ins Bett. Javid, dachte ich plötzlich wieder und sprach leise seinen Namen vor mich hin. »Javid, Javid, Javid.«
4. Kapitel
T atsächlich fiel kein Regen am nächsten Tag, wie Javid es angekündigt hatte. Von schönem Wetter konnte zwar nicht die Rede sein, aber die Wolken, die den Himmel bedeckten, waren weniger grau als in den Tagen zuvor. An manchen Stellen lugte sogar ein Stück Blau hervor.
Freda hatte in ihrem Motel einen kleinen, hübsch eingerichteten Aufenthaltsraum. Drei Tische mit Stühlen standen darin und bunt bemalte Holzmasken mit wilden Gesichtern verzierten die hellen Holzwände. Sie hatte uns dort ein einfaches Frühstück serviert und bei dieser Gelegenheit konnten wir gleich das Ehepaar Austin aus Arizona kennen lernen.
Mrs Austin war eine faltige, alte Dame mit kurzem weiÃem Haar und einer lustigen bunten Brille. Mr Austin machte den Eindruck, als hätte er die hundert bereits überschritten. Er wirkte klapprig und greisenhaft, aber seine Augen leuchteten in einem jugendlichen Blau. Keine Spur von jenem milchigen Schleier, den ich schon oft bei alten Leuten gesehen hatte. Er erzählte uns, dass er 87 war. Ziemlich bemerkenswert, fand ich, denn Arizona war ganz schön weit weg.
Seit sie Rentner waren, erkundeten die beiden Stück für Stück das Land. Und nun waren sie neugierig auf ein Stück pazifischen Ozean mit seinen groÃen und kleinen Bewohnern.
»Früher sind wir den ganzen Sommer mit unserem Wohnwagen unterwegs gewesen«, sagte Mrs Austin. »Aber nun kann Warren nicht mehr fahren und ich mag das riesige Gefährt nicht lenken. Wir haben es unserem Sohn vermacht, er lebt in Virginia.« Es klang etwas wehmütig und ich dachte, dass sie ihren Jungen bestimmt nicht oft sahen, weil er so weit weg lebte.
Die beiden waren nett und Papa fragte sie ein wenig aus, was Mrs Austin dazu animierte, uns im Schnelldurchlauf ihre ganze Familiengeschichte zu erzählen. Ich sah immerzu nervös auf die Uhr, traute mich aber nicht die alte Frau zu unterbrechen.
Kurz vor halb zehn erinnerte uns Freda daran, dass es für die Bootsfahrt angebracht war, regendichte Kleidung anzuziehen. AuÃerdem verteilte sie Pillen gegen Seekrankheit und riet uns inständig die Dinger auch zu nehmen. »Sonst haben Sie nichts von Ihrem Ausflug«, beteuerte sie mit einem verschmitzten Lächeln.
Papa und ich gingen noch einmal auf unsere Zimmer, um uns umzuziehen, und liefen dann gemeinsam mit Mr und Mrs Austin zum kleinen Hafen. Die beiden Amerikaner trugen grellgelbe Ãljacken und Papa und ich unsere neuen roten Wetterjacken, die wir in Seattle erstanden hatten. Ein paar Leute waren auf der StraÃe unterwegs, aber es schien so, als würden sie uns überhaupt nicht bemerken. Ein wenig wunderte mich das, denn eigentlich mussten wir doch auffallen wie bunte Hunde, so wie wir gekleidet waren.
Der Weg zum Hafen war nicht weit. Nur ein paar Schritte über die breite TeerstraÃe und den Parkplatz vor der Bootsrampe. An vier langen Anlegestegen lag ein Dutzend kleinere und mittelgroÃe Boote. Die meisten waren Fischerboote und kleine Jachten. Manche Fischerboote hatten einen bunten Anstrich, andere sahen alt und heruntergekommen aus. Es gab aber auch ein paar nagelneue, schnittige Motorboote.
Javid Ahdunko und sein Onkel Henry Soones warteten vor einem blau-weiÃen Motorboot auf uns und winkten uns zu. Ich war nicht sicher gewesen, ob Javid mit uns hinausfahren würde, und nun war ich glücklich ihn zu sehen.
Er trug eine rote Baseballkappe verkehrt herum auf dem Kopf und grinste mich fröhlich an. Ich lächelte vorsichtig zurück. Wie mir schien, hatte zwischen uns beiden eine
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