Der Gesang der Orcas
Fahrt mit ihnen fortsetzen würden, verabschiedeten sich von ihren Familien und Freunden. Nun hieà es auch für Javid und mich endgültig Abschied nehmen. Aber eigentlich hatten wir das schon vor wenigen Stunden getan. Wir umarmten uns nur kurz, damit es nicht zu sehr weh tat.
»Danke für alles«, sagte er.
»Für was?«, fragte ich staunend.
»Für dich, Copper. Und lass von dir hören, ja?«
»Du aber auch«, erwiderte ich.
»Na klar.« Noch ein schneller Kuss und Javid war verschwunden.
Tyler kam zu mir herüber und reichte mir die Hand. Er war kein Freund groÃer Worte, deshalb erwartete ich auch keine. SchlieÃlich umarmte er mich und der Kloà in meiner Kehle wuchs.
»Pass gut auf ihn auf!«, bat ich ihn und versuchte ein schiefes Lächeln.
»Mach ich, kannst dich auf mich verlassen.« Dann war auch Tyler verschwunden.
Die Trommeln schwiegen. Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf das Stammesoberhaupt, einen alten Mann mit einem langen Stab in der Hand. »Liebe Einwohner von Neah Bay, liebe Gäste«, begann er seine feierlichen Worte. »Wir haben uns an diesem sonnigen Morgen hier am Strand versammelt, um diese tapferen Männer zu verabschieden. Sie werden auf eine Reise gehen, die unsere Völker wieder vereinen soll.
Die Zeder ist ein heiliger Baum, und aus diesem heiligen Baum haben geschickte Handwerker Kanus gebaut. Auch junge Männer aus Neah Bay haben Kanus gebaut und ich habe das gute Gefühl, dass unsere Vorfahren uns mit Stolz betrachten. Das Kanu ist ein Sinnbild für unsere Gemeinde«, sagte der Mann mit dem Sprecherstab. »In ihm muss jeder im Einklang mit dem anderen rudern oder es funktioniert nicht.«
Ein zustimmendes Raunen ging durch die Menge. Es verstummte jedoch gleich wieder, als ein eindringliches Pfeifen die Menschen in den Himmel blicken lieÃ.Ãber uns allen zog ein WeiÃkopfseeadler seine Kreise. Der alte Mann mit dem Sprecherstab nickte und lächelte, bevor er in seiner Rede fortfuhr: »Die Bäume für diese Kanus sind gewachsen, noch bevor die ersten Pelzhändler in unser Land kamen. Vor nicht allzu langer Zeit säumten hunderte Kanus die Ufer unserer Küste. Sie sind nicht mehr da. Sie sind verschwunden oder zerschellt, weil wir sie nicht mehr brauchten, weil wir auf Autos und Motorboote umgestiegen sind. Jetzt sind die Kanus an unsere Küste zurückgekehrt.« Ich sah, wie Javid seine Brust reckte. »Sie werden die anderen Kanus unserer Brüder ein Stück die Küste hinunterbegleiten. Mögen unsere Männer gesund und mit reichen Erfahrungen zu uns zurückkehren.«
Wilder Applaus hallte über den Strand. Die Indianer in den Booten hoben die Paddelspitzen zum Salut, dann wurden die Trommeln erneut angeschlagen und ein munteres Gejohle begleitete die Männer auf ihrer Fahrt hinaus aus dem Hafen.
Mein Vater fotografierte, als ginge es um sein Leben. Javid drehte sich noch einmal um und winkte mir zu, bevor sein Kanu mit den anderen hinter Waadah Island verschwand.
Ich lächelte. Tränen liefen unaufhörlich über meine Wangen.
31. Kapitel
Neah Bay, Ende September 2002
Hi Copper!
Deinen Brief habe ich bekommen. Das Foto von dir im Orcakostüm ist wirklich süÃ.Hab vielen Dank. Ich bin froh, dass du mit den Leuten aus deiner Klasse jetzt besser zurechtkommst. Inzwischen hat auch bei uns die Schule wieder begonnen und die Tage, an denen mal die Sonne scheint, werden immer seltener. Es regnet nun schon seit fünf Tagen ununterbrochen und mir kommt es so vor, als wolle es nie wieder aufhören.
Unsere Kanufahrt war ein richtiges Abenteuer. Stell dir vor, die Orcas haben unsere Kanus eine Weile begleitet. Es schien, als wären die alten Zeiten zu uns zurückgekehrt. Mit dem Kanu unterwegs zu sein ist eine völlig andere Art, die Küste zu erkunden. Aber was schreibe ich dir da, du weiÃt das schlieÃlich alles selbst.
Trotz des schlechten Wetters haben wir ab und zu Gäste im Motel und meine Mutter ist zuversichtlich, dass wir den Winter gut überstehen werden. Ich soll dich übrigens ganz herzlich von ihr grüÃen. Auch von Tyler und Alisha soll ich dich grüÃen.
Meine Kusine ist schwanger. Sie freut sich auf das Kind. Tyler ist sich noch nicht sicher, ob er sich freuen soll oder nicht. Er braucht immer ein bisschen länger.
Ich bin noch einige Male mit dem Schlauchboot drauÃen gewesen, aber die
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