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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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also in einer Woche los und du würdest Schule versäumen.« Er sah mich an, mit einem Blick, der seine Hilflosigkeit offenbarte. »Ich möchte dich nicht so lange allein lassen, Sofie.«
    Papa sagte nicht: »Es wäre schön, wenn du mitkommen würdest, Sofie.« Ihn plagte bloß das schlechte Gewissen. Jetzt, wo er sein Versprechen endlich einlösen wollte, hatte es für mich keine Bedeutung mehr.
    Â»Aber ich will doch zu Tante Elisabeth fahren«, erinnerte ich ihn. Falls er das wie so vieles andere auch vergessen haben sollte. »Ich habe mich schon so darauf gefreut.«
    Â»Ich weiß«, sagte er. »Aber die kannst du doch auch in den Herbstferien besuchen. So eine Gelegenheit kommt nicht so schnell wieder. Bist du gar kein bisschen neugierig auf Amerika? Da wolltest du doch immer hin.« Er wirkte beinahe enttäuscht.
    Ich hob die Schultern. »Ich denke darüber nach, okay?«, sagte ich lahm. Wie der Appetit war mir auch die Neugier abhanden gekommen, seit Mama nicht mehr da war. Meine Abenteuerlust und mein Wissensdurst waren in einem seltsamen Nebel aus Hoffnungslosigkeit verschwunden.
    Papa strich mir zärtlich übers Haar. »Ja, denk drüber nach. Aber morgen muss ich dem Verlag Bescheid geben. Sie haben die Tickets für uns schon gebucht. Es ist ein interessanter Auftrag, Sofie, der gut bezahlt wird.«
    Â»Hm«, brummte ich, ärgerlich darüber, dass er mich auf diese Weise unter Druck setzte. Seine Entscheidung war also schon gefallen.
    Â»Schlaf gut«, sagte er, ging aber nicht.
    Â»Was ist, Papa?«
    Â»Vielleicht tut es uns gut, wenn wir mal eine Weile zusammen unterwegs sind. Meinst du nicht?«
    Â»Ja«, sagte ich. »Das wäre bestimmt gut.«
    Mein Vater würde diesen Auftrag annehmen, da machte ich mir nichts vor. Am Ende würde er auch ohne mich fliegen, wie er es all die Jahre getan hatte. Wenn ich ihn begleitete, brauchte er kein schlechtes Gewissen zu haben, dass er mich mal wieder allein zurückließ.Je mehr ich über sein Angebot nachdachte, umso mehr ärgerte ich mich darüber.
    Natürlich hatte er Recht. Meine Cousins Fabian und Sven konnte ich wirklich in den Herbstferien besuchen, aber darum ging es auch gar nicht. Es ging um Papa und mich. Wie es in Zukunft mit uns beiden weitergehen würde. Vielleicht war diese Reise tatsächlich eine Chance für uns und wir konnten einander wieder näher kommen. Vielleicht. Wenn ich ablehnte, würde ich es jedenfalls nie herausfinden.

2. Kapitel
    E s war Ende Juli, als der Flieger auf dem Sea-Tac-Flughafen von Seattle landete. Unter uns eine dichte Schicht grauer Wolken, aus der nur der Mount Rainier ragte, ein schneebedeckter Vulkankegel südöstlich der Stadt. Dann war auf einmal alles grau. Mein Magen zitterte und hopste, und ehe ich mich versah, setzte der Flieger auf der Landebahn auf und die Passagiere klatschten. Ich war schon mal geflogen, aber das war lange her. Nach den vielen Stunden in den engen Sitzen war die Landung eine Erleichterung für mich. Ich wollte nur noch raus aus der Blechkiste.
    Dicke Tropfen klatschten gegen die kleinen Scheiben des Flugzeugs. »Regenwetter«, sagte mein Vater. »Wie kann es anders sein. In dieser Ecke Amerikas gibt es nur wenige Tage im Jahr, an denen der Himmel wolkenlos ist und die Sonne scheint.«
    Na prima, dachte ich. »Warum sagst du mir das eigentlich erst jetzt?« Ich machte ein mürrisches Gesicht.
    Papa lächelte müde. »Weil du sonst nicht mitgekommen wärst.«
    Tatsächlich hatte ich nichts gegen Regen und die grauen Wolken passten zu meiner Stimmung. Für mich hatte die Farbe Grau den gleichen Wert wie alle anderen Farben. Es gab ein schwarz glänzendes Grau, ein milchiges, Schiefergrau und Muschelgrau. Und das war noch längst nicht alles. Wenn ich hinaussah in den Himmel, wurde mir klar, dass zur Palette meiner Grautöne hier noch einige Nuancen hinzukommen würden.
    Endlich konnten wir die Sitzgurte lösen und langsam leerte sich das Flugzeug. Mein Vater holte seine Kameratasche aus dem Gepäckfach und wir bewegten uns in einer ungeduldigen Menschenschlange nach draußen. Da wir in Cincinnati zwischengelandet waren und dort auch schon die Einreiseformalitäten erledigt hatten, ging für uns jetzt alles ziemlich schnell. Wir holten unser Gepäck vom Laufband und mein Vater mietete einen Leihwagen.
    Es war ein Chevrolet, sehr rot und

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