Der Gesang der Orcas
meinen Augen verschwamm.Ich zwinkerte, und als ich wieder klar sehen konnte, sah ich nichts weiter als ruhiges Wasser bis zum Horizont. Ich musste mich doch getäuscht haben.
Aber auf einmal waren sie wieder da. Viel näher als noch vor wenigen Augenblicken.Eins, zwei, drei, vier Rückenflossen. Eine davon mannshoch. »Javid!«, jauchzte ich aufgeregt. »Sieh doch nur!«
Ich war aufgesprungen und das Kanu schwankte bedrohlich. Schnell setzte ich mich wieder. Javid und Tyler hatten aufgehört zu paddeln und nun blickten wir alle gespannt in eine Richtung.
»Ich werd verrückt«, murmelte Tyler mit aufgerissenen Augen.
Alisha blieb ganz ruhig.
»Sie kommen direkt auf uns zu.« Tyler war jetzt sichtlich nervös und umklammerte sein Paddel, als wolle er es als Lanze einsetzen.
»Willst du dich als Walfänger beweisen?«, spottete Javid.
»Wohl kaum«, knurrte Tyler. »Aber die Viecher sind verdammt groà und haben irre scharfe Zähne.«
»Sie wollen nur spielen«, sagte ich und lachte.
Die Wale waren jetzt auf knapp dreiÃig Meter herangekommen. »Granny, Conny, Lopo, Mora«, zählte Javid auf.
Und plötzlich war da noch eine fünfte Rückenflosse, viel kleiner als die anderen. Furchtlos schwamm der kleine Orca auf unser Kanu zu, während die anderen auf Abstand blieben.
»Moras Baby«, flüsterte ich und wischte mir ein paar Freudentränen aus den Augen.
»He«, schimpfte Tyler. »Kann mir mal einer erklären, was hier eigentlich los ist?«
Ich lachte. Javid hatte seinem besten Freund nichts von unseren Walen erzählt. Er hatte unser Geheimnis bewahrt.
»Sie kennen uns«, sagte ich. »Wir haben sie oft mit dem Schlauchboot besucht.«
»Und der tote Wal am Strand vom Hobuck Beach?«, fragte Alisha.
»Das war Bob«, sagte Javid. »Er gehörte auch dazu.«
Der kleine Wal kam dicht an das Kanu heran und umschwamm es neugierig. Ich schätzte seine Länge auf ungefähr zwei Meter. Als er seinen Kopf aus dem Wasser steckte, versuchte ich ihn zu berühren.
»Vorsicht!«, rief Tyler und schnappte nach meinem Hosenbund. Das Kanu schaukelte. »Bist du verrückt?«
Aus der Walgruppe kam ein aufgeregtes Quietschen.
»Mora ruft ihr Baby«, sagte Javid.
Der kleine Orca tauchte ab und kehrte zu seiner Familie zurück.
»WeiÃt du, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist?«, fragte ich Javid.
Er hob die Schultern. »Genau weià ich es nicht, aber ich glaube, es ist ein Junge. Seine Rückenflosse ist ziemlich gerade.«
»Ich würde ihn gerne Bobby nennen.«
»Okay.« Javid lächelte. »Aber jetzt müssen wir weiter, sonst wird es noch dunkel, bevor wir im Hafen sind.«
Ich griff wieder nach meinem Paddeln und wie durch ein Wunder schienen die Kräfte in meine Arme zurückzukehren. So kamen wir erneut ein gutes Stück voran, bis das Orcababy wieder neben dem Kanu auftauchte und SpäÃe machte.
Seine Mutter lieà es eine Weile gewähren, dann rief sie ihren Sprössling zurück. Er gehorchte zwar, kam aber nach einiger Zeit wieder. So ging es weiter, bis wir das Kap erreicht hatten. Bobby neben uns und hinter uns und manchmal schwamm er auch voraus. Die anderen vier Orcas folgten dem Kanu in einiger Entfernung.
Auf einmal hörte ich aufgeregte Rufe. Suchend blickte ich um mich, um herauszufinden, woher die Stimmen kamen. Javid zeigte nach oben ans Kap. An der Holzbrüstung standen mein Vater und Lorraine. Sie winkten. Was Papa wohl gefühlt haben mochte, bei diesem Anblick: Seine Tochter mit drei Indianern in einem bemalten Zedernkanu auf dem Ozean, umringt von fünf Killerwalen!
Wir winkten den beiden zurück, mussten dann aber wieder straff paddeln, weil die Strömung zwischen der Insel Tatoosh und dem Festland das Kanu sonst auf die Klippen zog.
Als wir das Kap passiert hatten, hörten wir, wie Granny und Mora den kleinen Orca zurückriefen. Aber Bobby war neugierig und verspielt und diesmal gehorchte er nicht. Immer wieder steckte er seinen Kopf aus dem Wasser und stieà Laute aus, die wie Orcalachen klangen. Dann stieà er seinen Blas in die Luft und tauchte unter.
SchlieÃlich wurde Mora ungeduldig und kam heran, um den kleinen Witzbold zurückzuholen. Bobby musste noch eine Menge lernen, bevor aus ihm ein richtiger Orcamann wurde. Er würde zuerst lernen müssen auf seine Mutter zu hören, weil
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