Der Gesang von Liebe und Hass
stören.«
»Vorher habe ich von dir geträumt. Es war schrecklich, als ich dann allein erwachte, aber jetzt bist du wirklich hier, nicht wahr?«
»Ja«, sagte er, »ich bin hier.«
»Warum kommst du nicht zu mir?« Sie hob beide Arme, es war nur eine schwache, hilflose Bewegung.
Er stand auf, kniete neben ihrem Bett nieder. Sie legte die Arme um seinen Hals.
»Du siehst mich so seltsam an, als hättest du Angst vor mir?«
»Ich hatte Angst um dich. Du warst sehr krank.«
»Wie lange?«
»Über eine Woche.«
»Was für eine Krankheit war es?«
»Du hattest hohes Fieber.«
»Aber das hier …«, sie streifte die Ärmel ihres Nachthemdes zurück, zeigte ihm die blauen und bräunlichen Male.
»Als das Fieber anfing, bist du ein paarmal hingefallen. Wir haben es nicht gleich gemerkt. Und du hast dich verletzt.«
»Aber mein Bauch und meine Beine und alles sieht so aus.«
»Der Boden war steinig, der Weg ging bergauf.«
»Brenski, warum belügst du mich?«
Er küßte sie auf den Mund, aber ihre Lippen öffneten sich nicht.
Jetzt war in ihren Augen Angst. »Wenn du mich belügst, wem soll ich dann noch vertrauen?«
»Ich bin bei dir, und ich bleibe bei dir und es wird dir nie wieder etwas Böses geschehen.«
In der Nacht, als El Corazóns Camaradas von ihrer Patrouille zurückkehrten und der Herr des Hauses die frisch geangelten Forellen über der offenen Glut des Kamins für sie grillte, kam Brenski zu ihnen herunter in die Wohnhalle.
Maria Christina schlief. Er ließ sie allein, weil er sehr hungrig war.
Sie erwachte. Auf dem Nachttisch brannte eine Öllampe. Sie stand auf und nahm sie mit in das angrenzende, kleine, weiße Waschkabinett.
Sie stellte die Öllampe auf das Bord unter dem Spiegel. Langsam, weil es sehr schmerzte, wickelte sie den Verband von ihrem Hals. Sie sah eine Wunde, mit vielen Stichen genäht, die von ihrem linken Ohr bis hinab zu der kleinen Grube unter ihrer Kehle verlief.
Und da sah sie wieder die Männer mit den Bajonetten und Mama Elenas Kopf vom Rumpf getrennt, und sie hörte das Stöhnen und Grölen und das Grunzen der Männer, die auf sie rollten und von ihr herab, und sie sah wieder die Flammen, hörte ihr saugendes, schmatzendes, gieriges Fressen, hörte sich selbst schreien und roch den Schweiß und die Angst und das Blut und den Tod und wußte, daß nur sie entkommen war.
Wußte alles wieder.
Alles, alles, alles.
Und das war zuviel.
Maria Christina packte die Haut ihres Halses und zerrte daran, bis Blut aus der Wunde quoll.
Nach einer Weile konnte sie nicht mehr stehen. Sie kroch zur Tür ihres Zimmers, schloß sie mit einem Fußtritt. Dann schob sie sich selbst davor, damit niemand die Tür öffnen könnte.
Bevor Brenski zu Bett ging, lauschte er noch einmal an Maria Christinas Tür. Zuerst vernahm er nichts, dann war es wie das Scharren von Nägeln über Holz.
Er drückte die Klinke herunter – aber die Tür ließ sich nicht öffnen.
Er warf sich mit der Schulter dagegen, und da gab die Tür nach.
Maria Christina kroch über den Boden, im Kreis, genauso, wie sie es auf der Lichtung vor dem Blockhaus getan hatte, und das Blut floß aus ihrem Hals auf das weiße Ziegenfell vor dem Bett.
Er sprang zu ihr, hob sie auf, legte sie ins Bett, schrie: »Doktor! Doktor!«
Er preßte seine Hand auf die Wunde am Hals, um das Blut zu stillen, aber es quoll zwischen seinen Fingern hindurch.
Und da waren auch schon schnelle Tritte auf der Treppe, und sie alle erschienen, El Corazón, der Arzt, Franco Renaldo und seine gutherzige Frau. Sie blieben vor Schreck erstarrt stehen. Der einzige, der handelte, war Corazón. Er riß Doña Amalda die Mantilla von der Schulter, sprang zum Bett, drückte das feine, weiße Spitzentuch auf die Wunde.
Der Arzt beugte sich über Maria Christina, horchte mit dem Stethoskop ihr Herz ab. Sein Gesicht war ernst, und es hellte sich auch nicht auf.
Er beugte sich zu seiner ledernen Tasche hinab, abgewetzt durch Tausende von Krankenbesuchen, zog eine Spritze auf, stach sie in die linke Armvene.
Maria Christina wurde bewußtlos.
Der Arzt begann die mühsame Arbeit der neuen Naht der langen, tiefen Halswunde. Es dauerte fast eine Stunde, in der er immer wieder das Herz Maria Christinas und ihren Kreislauf überprüfte.
»Wir dürfen sie nicht mehr allein lassen«, sagte der Arzt zu den Renaldos.
»Ich bleibe hier«, sagte Brenski.
Der Arzt schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Doña Amalda sollte bei ihr bleiben. Wir – ich –
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