Der Gesang von Liebe und Hass
brauche Sie. Wir müssen uns klarwerden, was geschehen soll.«
Die Männer saßen in der Halle vor dem Feuer im Kamin, dessen Flammen Brenski nicht erwärmen konnten.
»Der Schock ist zu groß. Sie muß in eine Klinik«, erklärte der Arzt, »– oder zurück zu ihrer Familie. In der vertrauten Umgebung ihres Elternhauses kann sie, ich betone, kann sie genesen.«
»Eine Klinik kommt nicht in Frage«, sagte Brenski.
»Und warum nicht?«
»Man würde sie unter Umständen erkennen.«
»Ja und? Nach dem, was Sie mir erzählt haben, weiß doch niemand, daß sie für ein paar Tage auf der Seite der Partisanen war. Sie könnte immer sagen, sie sei von Ihnen dazu gezwungen worden.«
El Corazón starrte den Arzt finster an.
»Man würde mich erkennen«, sagte Brenski.
»Ah, da kommen wir der Sache schon näher.« Der Arzt sah Brenski fast verächtlich an. »Sie fürchten um Ihre eigene Sicherheit. Denn sowohl bei den Republikanern als auch bei den Regulares können Sie sich nicht blicken lassen.«
»Laß meinen Freund in Ruhe«, grollte El Corazón. »Er hat das Herz eines Löwen. Bezichtige ihn nicht in meiner Gegenwart der Feigheit. Wenn er nicht will, daß die arme Niña in eine von euren Kliniken kommt, so nur, weil er um ihren Verstand fürchtet. Man muß sich das vorstellen – sie erwacht unter hundert anderen Frauen, und alle erzählen die scheußlichsten Geschichten. Sie würde keine Nacht überleben.«
»Gracias, amigo«, sagte Brenski zu El Corazón.
»Wenn du mich fragst, Alemán, sollten wir sie nach Hause bringen, zu ihrer Familie.«
»Wir? Ich bin überall bekannt – du bist auch überall bekannt.«
El Corazón schüttelte den Kopf. »Kein Mensch weiß, daß ich Partisan bin. Niemand sah je mein Gesicht. Und wenn er es sah, lebte er keine Stunde mehr.«
»Aber ich …«
»Wir werden dir dein blondes Haar schwarz färben. Du sollst mal sehen, was das ausmacht. Und nicht jeder dumme Bauernbursche von der Guardia Civil ist ein Sherlock Holmes.«
Brenski sah Franco Renaldo fragend an. Dieser hob die Schultern. »Es ist so oder so ein Risiko. Aber ich glaube, wenn Sie bei ihr sind, Brenski, dann wird sie vielleicht über das alles hinwegkommen. Sie müssen gütig und zart zu ihr sein.«
»Was meinen Sie denn, was ich sein würde?«
»Laß den Señor reden!« befahl El Corazón.
»Es ist ein langer Weg bis Andalusien. Ich kann euch einen Wagen und ein Maultier geben. Ich kann euch Karten geben, auf denen die Waldpfade und die Wanderwege eingetragen sind, denn als junger Mann bin ich leidenschaftlich gern durch halb Spanien geritten. Aus der Zeit sind meine Karten. Ich weiß nicht, ob sie immer noch stimmen, aber es ist mehr als nichts.«
»Wir brauchen Proviant«, sagte El Corazón. »Und wir brauchen Reisepapiere. Wie ich weiß, kommt man ohne Personalausweis und ohne Passierschein keinen Schritt weit im Gebiet der Nacionales.«
Der Arzt räusperte sich. »Ich kenne in Belamar, der kleinen Stadt im Norden von uns, einen Drucker, der früher dunklen Elementen geholfen hat. Er tat das so, daß die Behörden nie auf ihn aufmerksam wurden. Ob er das allerdings heute noch kann und ob er die Möglichkeit hat, solch komplizierte Papiere zu fälschen …«
El Corazón schob seinen Kopf vor. »Ich werde ihn schon dazu überreden.«
Der Arzt hob schnell beide Hände. »Genug! Ich will von euren Drohungen der Gewalt nichts mehr wissen! Seid ihr denn alle zu Tieren geworden?«
In das Schweigen hinein sagte El Corazón: »Sí, leider, Doktor. Die Faschisten haben uns dazu gemacht.«
Es war wie ein Versteckspiel. Sie brauchten Fotos. Franco Renaldo machte sie mit seiner alten Retina, auf die er sehr stolz war. Sie brauchten ein anderes Gesicht. El Corazóns Haare fielen unter der Schere von Doña Amalda, und sie rasierte ihm auch den Bart ab, was er mit einem schmerzvollen Grinsen quittierte. Brenskis blondbraunes Haar wurde schwarz gefärbt; als er in den Spiegel schaute, erkannte er selbst sich nicht wieder.
Währenddessen ruhte Maria Christina in einer Art Halbschlaf. Sie aß die einfachen Suppen, die Doña Amalda ihr bereitete, einmal ein Consomé Madrileño, dann eine kalte Gazpacho oder eine kräftige Suppe aus Kichererbsen mit Hammelfleisch.
Maria Christina sprach kein Wort. Sie schaute nur die Wand an. Wenn Brenski an ihrer Seite war, verbarg sie ihr Gesicht in den Kissen.
Einmal sagte er: »Ich habe viel nachgedacht. Auch du hast nachgedacht. Es war alles sehr schlimm, aber du hast mir
Weitere Kostenlose Bücher