Der Gesang von Liebe und Hass
und machte sich an Maria Christina zu schaffen. Aus dem Augenwinkel sah Brenski, daß er ihr zuerst eine Spritze gab, die ihre verkrampften Glieder bald erschlaffen ließ.
Gute Kunde kam aus der Schlucht – die Nacionales hatten die Maultiere nicht gefunden, Ricardo hatte sich an die Anweisung gehalten und den Mulos die Schnauzen zugebunden, damit sie keinen Lärm machen konnten. Sie hatten also noch Vorräte und Munition. Sie konnten ihren Feldzug der Rache beginnen.
21.
Als Maria Christina die Augen aufschlug, sah sie über sich eine dunkle Balkendecke, neben dem Bett ein Bild von der Sierra im Sturm, mit den grellen und doch flüchtigen Strichen der Impressionisten der frühen spanischen Periode gemalt.
Das Bettzeug war blendend weiß. Sie versuchte, den Kopf zu drehen, aber ein Stich ging durch ihren Hals bis in ihren Kopf. Sie schrie leise auf.
»Schön ruhig, Niña … Es wird ja alles gut.« Eine Frau beugte sich über sie, eine alte, aber immer noch 'schöne Frau mit sanften, braunen Augen, das weiße Haar von einer Haube bedeckt, nicht unähnlich den Hauben der Nonnen in Santa Maria de la Sierra.
»Wo bin ich?«
Die alte Dame glättete das frisch riechende Leinen. »Bei Freunden.«
»Wo ist Brenski?«
»Deine Freunde schlafen sich aus. Sie sind im Gesindehaus untergebracht.«
»Wo?«
»Du bist in einem Ort namens Legosta Santa Clara. Es liegt auf, hm, nationalem Gebiet.«
»Aber …«
Die alte Frau hob die Hand. »Du darfst nicht soviel sprechen, Niña, sonst reißt die Wunde an deinem Hals wieder auf.«
»Aber wenn wir doch auf dem Gebiet der Regulares sind …«
Die alte Dame lächelte. »Wir liegen weitab vom Schuß, wie man so sagt, und mein Mann ist kein Freund des dicken Francisco Franco, wenn du das meinst. Aber mein Mann ist ein kluger Mann. Er hat es immer verstanden, seinen Mund zu halten.«
»Aber wie bin ich hierher gekommen?«
»Deine Freunde haben dich zu uns gebracht.«
»Aber woher?«
»Du darfst nicht soviel sprechen. Bitte.« Die alte Frau strich ihr beruhigend über die Stirn. »Du bist sicher hier, und du wirst hier gesund werden.«
Maria Christina schloß die Augen unter der beruhigenden Hand und dem warmen Blick der braunen Augen.
Sie konnte sich an nichts erinnern – nur daran, wie Agostina zusammengerollt wie eine kleine Katze vor dem niedriggehaltenen Kaminfeuer gelegen hatte und Mama Elena und sie selbst miteinander gesprochen hatten. Aber worüber, das wußte sie auch nicht mehr.
Kindheitserinnerungen vielleicht? Über eine Kahnfahrt auf dem kleinen See ihrer elterlichen Finca? Über die grauen Schwäne vielleicht, die sich streicheln ließen, während die weißen mit ihren roten Schnäbeln nach einem schnappten?
»Ich möchte Brenski sehen«, flüsterte sie, aber niemand antwortete.
Als sie die Augen wieder öffnete, war sie allein in dem freundlichen Zimmer, in dem sogar in einem Tonkrug ein Strauß aus Kornblumen und Margeriten stand.
Sie spürte keine Schmerzen, doch um ihren Hals war ein fester Verband, der es ihr nicht erlaubte, den Kopf zu drehen.
Woher hatte sie diese Wunde? War sie gefallen, gestürzt – aber wie konnte sie sich dabei am Hals verletzen?
Sie tastete vorsichtig über den Verband; dabei fielen die weiten Ärmel ihres Nachthemdes zurück, und sie sah viele blaue und braune Male an ihren Armen.
Sie mußte tatsächlich schwer gestürzt sein.
Neugierig geworden richtete sie sich auf, zog die Bettdecke zur Seite, betrachtete ihre Beine und dann ihren Leib. Überall waren die braunen und blauen Male.
Aber wieso konnte sie sich an keinen Sturz erinnern? Sie hatte doch die Blockhütte nicht verlassen in der letzten Nacht. Wäre sie auf einen Baum gestiegen, um Ausschau zu halten nach Brenski und den anderen, dann wäre das eine Erklärung gewesen.
Aber vielleicht hatte sie es getan und war gestürzt und hatte eine Gehirnerschütterung davongetragen?
Hieß es nicht, daß man sich dann an nichts mehr erinnern konnte, wenigstens zeitweilig nicht?
Sie spürte die Schwäche in sich aufsteigen, und ein wenig flimmerte es vor ihren Augen; sie legte sich langsam wieder zurück, ließ ihren Blick durch das Zimmer wandern.
Die Wände waren weiß getüncht, und davor standen alte, mit Bienenwachs polierte Möbel; sie konnte die Süße des Wachses riechen. Sie wäre gern aufgestanden und hätte die Blumen auf dem Tisch berührt oder die hellen Farben des Bildes.
Das Fenster war nur halb geschlossen, und die weißen Leinenvorhänge mit
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