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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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meine Töchter angeht, Marias Verlobter ist gefallen, und dabei war er ein fleißiger und kluger Bursche, der es bei der Eisenbahn noch weit gebracht hätte. Und nach Anna fragen Sie mich besser nicht.« Die Köchin schüttelte den Kopf, trank von ihrem Kaffee. »Schön ist sie – zugegeben – mit ihrem Haar, das wie schwarze Kohle glänzt, und ihren Augen, die so blau sind wie die Ohrringe, die Sie manchmal tragen. Anna ist auch klug, einen guten Beruf hätte sie erlernen können, aber sie bleibt zu Hause. Ja, tagsüber hält sie mein Haus in Ordnung und achtet darauf, daß Maria sich aus Gram nichts antut. Aber abends, sobald die Lichter in den Tavernen und Bodegas angehen, hält sie nichts mehr. Ich habe sie schon an ihr Bett gefesselt, und sie hat mir gedroht, wenn ich das noch einmal tue, wird sie sich umbringen, und zwar vor meinen Augen. Also, was soll ich tun? Ich lasse sie gehen. Und sie treibt sich mit den Soldaten herum. Wenn ich ihr vorhalte, wie schnell sie sich dabei einen dicken Bauch holen kann, lacht sie mich nur aus. Ich bin nicht so dumm wie du, Mama, sagt sie dann, ich lasse mir kein Kind machen wie du, Mama, damit Papa dich heiraten mußte. Und was hast du davon gehabt? Alle paar Jahre ist er mal wieder zu dir gekommen und hat dir eins gemacht, und seitdem du zu alt geworden bist dafür, ist er gar nicht mehr aufgetaucht. Wahrscheinlich hat er längst eine Jüngere gefunden, die nicht aussieht wie ein Mehlkloß, so wie du. Ich frage Sie, Doña Maria Teresa, ist es recht, daß eine Tochter so mit ihrer Mutter spricht? Nein, das ist es nicht. Aus dem Haus würde ich sie am liebsten jagen, aber kann ich das? Sie paßt doch auf Maria auf und auch auf Juanito. Und manchmal –«, die breiten, flachen Wangen wurden rot wie Ton, »bringt sie sogar etwas Geld nach Hause. Ich weiß, es ist Geld der Sünde, aber ich bringe ja auch immer ein Zehntel davon in die Kirche, und ich beichte auch regelmäßig, daß ich keine gute Mutter bin, aber glauben Sie mir, da knie ich dann und hoffe, daß ich Erleichterung finde, ich meine, daß sich der wehe Knoten in meiner Brust löst. Aber oft werden die Schmerzen nur noch schlimmer, und nachts liege ich dann und lausche, wie schwer mir das Atmen fällt, und lausche, wann Anna nach Hause kommt. Sie riecht immer nach Wein, und dann lacht sie und kichert, daß Maria und Juanito auch erwachen. Und oft muß ich sie ausziehen und ihr oft die Stirn halten, wenn der viele Wein wieder raus will. Und dann schwört sie, daß sie am nächsten Abend zu Hause bleiben wird. Aber ehe der nächste Abend kommt, lackiert sie sich die Nägel so rot wie Blut und schminkt sich die Lippen und pudert ihre schöne, braune Haut, daß sie wie ein Clown aussieht. Aber sie ist kein Clown, der in einem Variete auftritt. Sie ist eine Hure, ja, meine Tochter, meine Anna, ist in diesem verfluchten Krieg zur Hure geworden.«
    Maria Teresa legte Annunciata den Arm um die Schultern und strich ihr über das grausträhnige Haar.
    »Ich hätte dich nicht fragen sollen«, murmelte sie, »es tut mir leid, ich wollte dich nicht zum Weinen bringen.«
    »Aber es tut ja gut«, murmelte die Köchin, »es tut ja gut, einmal einem Menschen sagen zu können, was einen bedrückt. Und, Doña Maria Teresa, darf ich Sie etwas fragen?«
    »Natürlich.«
    »Warum bringen wir überhaupt unsere Kinder zur Welt? Damit unsere Söhne Soldaten werden und andere Soldaten töten oder selbst umgebracht werden? Und unsere Töchter, damit sie viel zu früh zu Witwen oder zu Huren werden? Soll das der Sinn sein, der darin liegt, daß man seine Kinder liebt und sie beschützt und aufzieht? Soll das der Lohn sein? Nein, Doña Maria Teresa, wenn ich es noch einmal zu tun hätte, nein, ich würde kein Kind mehr zur Welt bringen, niemals mehr.«
    Und ich, fragte sich Maria Teresa, wie würde ich mich entscheiden?
    »Frederico ist heute nacht fortgegangen«, sagte sie.
    Die Köchin hob ihr Gesicht mit ungläubig geöffnetem Mund. »Unser braver Frederico?«
    »Ja, unser stiller, braver Frederico. Er wollte kein Feigling sein, verstehst du?«
    »Kein Feigling! Oh, ich wünschte, alle Männer wären Feiglinge, dann könnten keine Könige und keine Generale mehr Krieg führen. Dann würden unsere Söhne nicht zu Mördern und unsere Töchter nicht zu Huren.« Wieder färbten sich die flachen Wangen Annunciatas ziegelrot. »Verzeihen Sie, Doña Maria Teresa, ich hätte nicht ›unsere‹ sagen dürfen. Natürlich sind Ihre Kinder

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