Der Geschichtenverkäufer
von Magritte. Vorsichtig legten wir uns auf den Marmorboden.
Wir hatten keine Wahl. Wir waren den Elementen hilflos ausgeliefert. Es wäre unmoralisch gewesen, einander in diesem Gewitter, diesem Sturm nicht zu lieben. Es hätte bedeutet, uns der Stimme der Natur nicht zu beugen. Es hätte bedeutet, die Natur nicht ihren Lauf nehmen zu lassen.
Wir blieben eng umschlungen liegen, bis der letzte Donner verhallt war. Sie duftete nach Pflaumen und Kirschen, und wir brauchten nichts zu sagen. Erst, als es nicht mehr regnete, setzte sie sich auf und sagte: Laß uns duschen. Das klang seltsam, jetzt, wo die Dusche gerade abgedreht und alles Wasser aufgebraucht war. Aber Beate zog mich mit sich. Wir liefen nackt auf den Weg hinaus, es war nicht kalt. Beate zog mich zum Wasserfall und erinnerte mich dann an mein Versprechen. Einige Minuten später standen wir unter dem Wasserfall und sangen. Beate fing damit an. Sie stimmte Toscas Gebet an, ich hielt das für eine seltsame Wahl und antwortete mit der Turmarie, die mir passender erschien. Doch Beate sang weiter: Perche, perche, Signore? Ich freute mich über ihre Opernkenntnisse. Ich wunderte mich auch nicht darüber. Ich weiß nicht, warum ich plötzlich ein altes Kinderlied anstimmte, vielleicht, weil ich so glücklich war. Ich hatte seit meiner Kindheit nicht mehr an dieses Lied gedacht:
Der kleine Petter Spinnenmann, der stieg auf meinen Hut. Dann brach ein wilder Regen aus, und er verlor den Mut. Dann kam die liebe Sonn herauf und wärmte meinen Hut. Der kleine Petter rafft sich auf, da war es wieder gut.
Wir liefen zur Ruine zurück und zogen uns an. Als wir wieder auf dem Weg standen, schien bereits die Sonne. Wir schämten uns nicht. Peinlich war höchstens, daß ich das alte Lied über den Spinnenmann gesungen hatte. Beate verlangte glücklicherweise keine Übersetzung, vielleicht hatte sie nicht einmal richtig zugehört, aber ich bereute meine Unbedachtsamkeit. Ich fühlte mich auf die Piazza Maggiore in Bologna zurückversetzt.
Wir überquerten den Fluß und stiegen einen steilen Hang hinauf, Beates Turnschuhe leisteten ihr gute Dienste. Eine Stunde später hatten wir einen Lucibello genannten Aussichtspunkt erreicht. Von hier aus konnten wir auf Amalfi und die weite Halbinsel Sorrent blicken. Beate pflückte einen großen Strauß Hornklee und überreichte ihn mir. Bitte sehr, sagte sie, Osterblumen. Ich erzählte ihr, daß die gelben Blüten in einigen Sprachen Mariengoldschuhe genannt werden. Auf englisch heißen sie auch Kinderpantoffeln, fügte ich hinzu und zeigte ihr, warum.
Dann begannen wir den Abstieg nach Pogerola, ich mit den Mariengoldschuhen in der einen und Beates Hand in der anderen Hand. Einmal sagte Beate, wir könnten heiraten und Kinder bekommen. Sie meinte das nicht ernst, trotzdem freute es mich. Sie meinte es sowenig wörtlich wie am Vortag, als sie vorschlug, wir sollten zusammen im Wasserfall baden, ich antwortete, daß ich mit dem Gedanken spielte, sie zu einer Reise in den Pazifik einzuladen. Beate sah mich nur an und lachte. Aber ich hatte es immerhin erwähnt.
In Pogerola gingen wir in eine Bar und bestellten Brote und eine Flasche Weißwein. Wir setzten uns, genossen die Aussicht, tranken nach dem Essen Kaffee, Limoncello und Cognac. Mir wurde ein Glas Wasser für den Hornklee gebracht.
Als wir die breiten Steintreppen nach Amalfi hinunterstiegen, sagte sie: Du schreibst also einen Roman, aber du arbeitest auch in einem Verlag. Ist das nicht eine schwierige Kombination?
Sie machte keine Konversation mehr. Jetzt wollte sie wissen, wer ich war.
Ich beschloß, genau so viel zu sagen, daß sie mich als die Spinne erkennen konnte, wenn sie je von diesem Phänomen gehört hatte. Ich sagte, daß ich anderen Autoren beim Schreiben half, ihnen ab und zu Uemen lieferte oder Notizen schenkte, auf denen sie aufbauen konnten. Ich hätte immer schon mehr Phantasie besessen, als ich selber brauchte, sagte ich. Phantasie sei ein billiger Rohstoff. Sagte ich. Ich sagte, Phantasie sei ein billiger Rohstoff.
Beate reagierte, das war ganz deutlich, sie reagierte mit Schweigen und Nachdenklichkeit. Was sich verschieden deuten ließ. Sie konnte mich inzwischen als die Spinne identifiziert haben. Sie konnte trotz allem mit den Verschwörern zusammenarbeiten. Es war ebenso denkbar, daß sie den kurzen Artikel im Corriere della Sera gelesen hatte; sie hatte selber davon gesprochen, wie wichtig es sei, gerade diese Zeitung zu lesen, wenn man
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