Der geschmuggelte Henry
Pansys Schuld — Pansy, die sich geweigert hatte, ihren Mann nach Amerika zu begleiten, wie es ihre Pflicht als Frau war; Pansy, die ihm das Kind vorenthalten hatte; Pansy, die einem Liebhaber zu Gefallen den kleinen Jungen in diese scheußliche Familie gegeben hatte; und schließlich Pansy, die mit dem Geld verduftet war und den Jungen seinem kläglichen Schicksal überließ.
George Brown dagegen war ein von Natur edler Mensch; in den dazwischenliegenden Jahren hatte er gewiß, wie es die Amerikaner taten, ein Vermögen gemacht. Vielleicht hatte er wieder geheiratet, vielleicht nicht. Aber wie dem auch sein mochte, er sehnte sich nach seinem verlorenen Henry.
Diese Einschätzung George Browns beruhte auf ihrer Erfahrung mit amerikanischen GI’s in England, die sie alle freundlich, warmherzig, großzügig und vor allem kinderlieb gefunden hatte. Sie erinnerte sich daran, wie sie während des Krieges stets ihre Süßigkeitsrationen mit den Kindern, die rings um ihre Stützpunkte wohnten, geteilt hatten. Sie waren zwar gern laut, lärmend, prahlerisch und verschwenderisch, aber wenn man sie näher kennenlernte, verbarg sich darunter die Güte selbst.
Sie waren natürlich die reichsten Leute in der Welt, und Mrs. Harris errichtete in ihrer Phantasie eine Art Palast, in dem George Brown jetzt lebte und in dem der kleine Henry sich seines Geburtsrechts erfreuen konnte, wenn sein Vater erst erfuhr, wie schlecht es ihm ging. Sie zweifelte nicht daran, daß, wenn Mr. Brown aufgefunden und von der schlimmen Lage seines Sohnes in Kenntnis gesetzt werden könnte, er in einem Düsenflugzeug angebraust käme, um sein Kind zu fordern und es aus der Tyrannei der scheußlichen Gussets zu befreien. Es bedurfte nur einer guten Fee, die an dem Knopf des Schicksals drehte und dafür sorgte, daß der Apparat sich in der richtigen Richtung bewegte. Und es dauerte nicht sehr lange, daß Mrs. Harris, der das jammervolle Los des kleinen Henry so naheging, sich selbst als die gute Fee zu sehen begann.
In ihrem Traum wurde sie auf irgendeine Weise in die großen Vereinigten Staaten von Nordamerika verpflanzt, wo sie mit Schläue und Glück fast sofort den verschollenen George Brown ausfindig machte. Als sie ihm die Geschichte des kleinen Henry erzählte, füllten sich seine Augen mit Tränen, und als sie damit fertig war, weinte er ohne jede Scham. «Meine gute Frau», sagte er, «mit all meinen Reichtümern kann ich nie gutmachen, was Sie für mich getan haben. Kommen Sie, wir wollen sofort ein Flugzeug besteigen und hinüberfliegen, um meinen kleinen Jungen nach Hause zu holen, wohin er gehört.» Es war ein sehr befriedigender Traum.
Aber, wie schon gesagt, Mrs. Harris war kein Mensch, der sich mit Phantasiegespinsten begnügte. Sie sah die Lage des kleinen Henry und die Gussets im nüchternen Licht der Wirklichkeit, und sie wußte, daß niemand den Vater hatte ausfindig machen können, ja, es nicht einmal ernstlich versucht hatte. Trotz all ihrer Träume war sie mehr und mehr davon überzeugt, daß, wenn sich ihr nur die Gelegenheit böte, sie es fertigbringen würde, ihn zu finden. Eine Überzeugung, in der sie nicht im geringsten dadurch wankend gemacht wurde, daß sie nichts weiter von ihm wußte, als daß er George Brown hieß und bei der amerikanischen Luftwaffe gewesen war.
2
Tief in ihrem Inneren war sich Mrs. Harris wohl bewußt, daß eine Reise nach Amerika für sie so fern lag wie eine Reise zum Mond. Freilich, es war ihr gelungen, den Kanal zu überqueren, und für die Flugzeuge war der Atlantische Ozean auch nichts weiter als ein Stück Wasser, über das sie hinwegschwirrten, aber wenn sie bedachte, was eine solche Reise kostete, war sie für sie unerreichbar. Mrs. Harris hatte sich ihren Herzenswunsch, Paris zu besuchen, dadurch erfüllen können, daß sie zwei Jahre lang geknausert und gespart hatte. Doch das war eine Riesenanstrengung gewesen und hatte sie viel Kraft gekostet. Sie war jetzt älter und wußte, daß sie nicht mehr die Energie hätte, um die notwendige Anzahl von Pfunden zur Finanzierung einer solchen Expedition zusammenzubringen.
Bei der Affäre Dior war allerdings der zündende Funke der Gewinn von hundert Pfund im Fußballtoto gewesen, ohne den Mrs. Harris es vielleicht nie auf sich genommen hätte, weitere dreihundertfünfzig Pfund zu sparen. Sie spielte weiter im Toto, aber ohne den festen Glauben, der manchmal Fortunas Gesicht zum Lächeln verführt. Sie wußte ebenso genau, daß solch ein
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