Der geschmuggelte Henry
ähneln, dem der Leser irgendwo irgendwann begegnet ist, dann hat der Verfasser versäumt, dem Leben einen kleinen Spiegel vorzuhalten, und dehnt sein Bedauern auf alle und jeden aus.
P . W. G.
1
Mrs. Ada Harris und Mrs. Violet Butterfield, Willis Gardens Nr. 5 und 7, Battersea, London, tranken ihre abendliche Tasse Tee in Mrs. Harris’ sauberer, mit Blumen geschmückter kleiner Wohnung im Kellergeschoß von Nr. 5.
Mrs. Harris war eine jener tatkräftigen Londoner Reinemachefrauen, die täglich ausziehen, um die größte Stadt in der Welt aufzuräumen, und ihre alte Busenfreundin, Mrs. Butterfield, arbeitete stundenweise als Köchin und Zugehfrau. Beide hatten eine vornehme Kundschaft in Belgravia, wo sie den Tag über allerlei erlebten und hier und dort kleine Brocken Klatsches von den komischen Leuten auflasen, bei denen sie arbeiteten. Und abends tauschten sie bei einer letzten Tasse Tee diese Neuigkeiten aus.
Mrs. Harris war sechzig, klein und zierlich, mit roten Apfelbäckchen und beinahe frechen kleinen Augen. Sie war sehr tüchtig und praktisch, neigte aber dennoch zu Romantik und Optimismus und sah das Leben schwarz oder weiß. Mrs. Butterfield, ebenfalls sechzig, eine rundliche, freundliche, schüchterne Frau dagegen war ein Pessimist, wie er im Buche steht, der alle Menschen und auch sich selbst beständig am Rande eines drohenden Unglücks sieht.
Die beiden guten Damen waren schon lange Witwen. Mrs. Butterfield hatte zwei verheiratete Söhne, die sie beide nicht unterstützten, was sie auch gar nicht überraschte. Es hätte sie erstaunt, wenn sie es getan hätten. Mrs. Harris hatte eine verheiratete Tochter, die in Nottingham lebte und ihr jeden Donnerstagabend schrieb.
Die beiden Frauen führten ein nützliches, tätiges und interessantes Leben, stützten einander äußerlich und innerlich und trösteten sich gegenseitig in ihrer Einsamkeit. Mrs. Butterfield war es gewesen, die vor etwa einem Jahr für eine Zeit Mrs. Harris’ Kundschaft übernommen und ihr dadurch den aufregenden und romantischen Flug nach Paris ermöglicht hatte, den sie nur unternahm, tim ein Kleid von Dior zu kaufen. Diese Trophäe hing jetzt in Mrs. Harris’ Schrank als tägliche Erinnerung daran, wie wunderbar und abenteuerlich das Leben sein kann, wenn man es mit etwas Energie, Beharrlichkeit und Phantasie dazu macht.
Die beiden Frauen saßen behaglich beim Schein der Lampe in Mrs. Harris’ blitzsauberer Wohnung, mit der heißen, duftenden Kanne Tee unter der geblümten Haube vor sich, die Mrs. Butterfield für
Mrs. Harris zu Weihnachten gestrickt hatte, und plauderten über die Ereignisse des Tages.
Das Radio war angestellt, und eine Reihe schauerlicher Laute kam heraus. Es war eine Schallplatte von Kentucky Claiborne, einem echten amerikanischen Hillbilly-Sänger.
«Und so sagte ich zu der Gräfin: », erzählte Mrs. Harris. « — , sagte sie, », schloß Mrs. Harris. Die Wohnungsschlüssel durch den Briefkastenschlitz werfen, war die klassische Kündigungsform der Reinemachefrauen.
Mrs. Butterfield trank einen Schluck Tee. «Es wird keiner da sein», sagte sie düster. «Ich kenne diese Sorte. Sie geben jeden Penny aus, um sich selbst zu behängen, und alles andere ist ihnen gleich.»
Aus dem Lautsprecher des kleinen Tischrundfunks grölte Kentucky Claiborne:
«Küß mich zum Abschied, alte Kajuse.
Küß mich, du altes Pferd.
Verweigere es nicht!
Schlechte Menschen haben mich angeschossen —
Ach, ich fürchte, sie haben mich getroffen!
Küß mich zum Abschied alte Kajuse.»
«Huh», sagte Mrs. Harris, «ich kann diese Katzenmusik nicht mehr ertragen. Würdest du sie bitte abstellen?»
Mrs. Butterfield beugte sich gehorsam hinüber, stellte das Radio ab und sagte: «Es ist wirklich traurig, angeschossen zu sein und zu wünschen, daß sein Pferd ihn küßt! Nun werden wir nie erfahren ob es das getan hat.»
Dennoch sollten sie es erfahren, denn die Leute in der Nachbarwohnung waren offensichtlich begeisterte Anhänger des amerikanischen Schlagersängers, und die Ballade von Tod und Liebe im Wilden Westen sickerte durch
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