Der Gesellschaftsvertrag
daß es im Staate möglichst keine besonderen Gesellschaften geben und jeder Staatsbürger nur für seine eigene Überzeugung eintreten soll. [Fußnote: »Vera cosa è«, sagt Macchiavelli, »che alcuni divisioni unocono alle repubbliche, e alcune giovano: quelle unocono che sono dalle sette e da partigiani accompagnate: quelle giovano che senza sette, senza partigiani, si mantengano. Non potendo adunque provedere un fundatore d'una repubblica che non siano nimizicie in quella, ha da preveder almeno che non oi siano sette.« (Hist. Florent. lib. VII. Es ist wahr, daß es Meinungsverschiedenheiten gibt, die den Republiken nützen, und solche, die schaden; schädlich sind solche, die mit Sekten und Parteileuten verbunden sind, nützlich solche, die sich ohne Sektenbildung und Parteigenossen behaupten. Da der Gründer einer Republik nicht dafür sorgen kann, daß es keine Gegnerschaften in ihr gibt, so muß er wenigstens dafür sorgen, daß sie sich nicht zu Parteien zusammenschließen.)] Deshalb war die auf diesem Grundsatze beruhende Einrichtung des großen Lykurg so einzig in ihrer Art und so erhaben. Gibt es nun solche besondere Gesellschaften, so muß man ihre Anzahl vermehren und ihrer Ungleichheit vorbeugen, wie Solon, Numa und Servius Tullius taten. Diese Vorsichtsmaßregeln können es einzig und allein bewirken, daß der allgemeine Wille immer klar ersichtlich ist, und das Volk sich nicht irrt.
4. Kapitel
Grenzen der Hoheitsmacht
Wenn der Staat oder das Gemeinwesen nur eine moralische Person ist, deren Leben in der Verbindung ihrer Glieder besteht, und wenn seine wichtigste Sorge auf seine eigene Erhaltung gerichtet ist, so hat er eine allgemeine und zwingende Kraft nötig, um jeden Teil auf die dem Ganzen zweckmäßigste Weise zu bewegen und nutzbar zu machen. Wie die Natur jeden Menschen mit einer unumschränkten Macht über alle seine Glieder ausstattet, so stattet auch der Gesellschaftsvertrag den Staatskörper mit einer unumschränkten Macht über all die seinigen aus, und ebendiese vom allgemeinen Willen geleitete Macht wird, wie bereits erwähnt, Staatshoheit genannt.
Außer der Person des Staates haben wir jedoch auch die einzelnen Personen, die jene bilden und deren Leben und Freiheit naturgemäß von ihr unabhängig sind, zu betrachten. Es gilt also, die gegenseitigen Rechte der Staatsbürger und des Staatsoberhauptes [Fußnote: Aufmerksame Leser, seid, wenn ich euch bitten darf, nicht zu schnell bei der Hand, mich hier eines Widerspruches zu zeihen. Bei der Armut der Sprache habe ich ihn in der Ausdrucksweise freilich nicht vermeiden können; aber wartet nur das Ende ab!] sowie die Pflichten, welche erstere in ihrer Eigenschaft als Untertanen zu erfüllen haben, von dem natürlichen Rechte, dessen sie als Menschen genießen müssen, genau zu unterscheiden.
Man gesteht zu, daß durch den Gesellschaftsvertrag jeder von seiner Macht, seinem Vermögen und seiner Freiheit nur den Teil veräußert, den das Gemeinwesen nötig hat; aber man muß auch zugestehen, daß das Staatsoberhaupt allein die Notwendigkeit des abzutretenden Teils bestimmen darf.
Alle Dienste, die der Staatsbürger dem Staate zu leisten vermag, ist er ihm schuldig, sobald das Staatsoberhaupt sie verlangt; dagegen kann das Staatsoberhaupt von seiner Seite aus die Untertanen mit keiner dem Gemeinwesen unnützen Fessel belasten, ja, es kann es nicht einmal wollen, denn nach dem Gesetze der Vernunft geschieht ebensowenig wie nach dem Gesetze der Natur etwas ohne Ursache.
Die Verbindlichkeiten, die uns an den Gesellschaftskörper knüpfen, sind nur deswegen verpflichtender Natur, weil sie gegenseitig sind, und ihr Wesen ist der Art, daß man bei ihrer Erfüllung nicht für andere arbeiten kann, ohne auch für sich zu arbeiten. Weshalb ist der allgemeine Wille immer richtig, und weshalb wollen alle stets das Glück eines jeden unter sich, wenn nicht um deswillen, weil es niemand gibt, der nicht das Wort »jeder« sich aneignet und nicht an sich selber denkt, so oft er für alle stimmt? Darin liegt der Beweis, daß die Rechtsgleichheit und die dadurch hervorgerufene Vorstellung von Gerechtigkeit aus dem Vorzuge, den jeder sich selbst beilegt, und folglich aus der menschlichen Natur entspringen; daß der allgemeine Wille, soll er in Wahrheit bestehen, es sowohl im Hinblick auf seinen Gegenstand wie auf sein Wesen sein muß; daß er, um auf alle Anwendung finden zu können, auch von allen ausgehen muß, und daß er seine natürliche
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