Der Gesellschaftsvertrag
Regierungsgeschäfte an sich gerissen hatte, kann man behaupten, daß in diesen Versammlungen das Schicksal Europas entschieden wurde. Die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, über die sich diese Versammlungen auszusprechen hatten, veranlaßte die verschiedenen Formen, die sie annahmen.
Um sich über diese verschiedenen Formen ein richtiges Urteil zu bilden, genügt es, sie zu vergleichen. Durch die Gründung der Curien beabsichtigte Romulus, den Senat durch das Volk und das Volk durch den Senat im Zaume zu halten, während er über alle gleichmäßig herrschte. Durch diese Form gewährte er dem Volke mithin die ganze Macht der Überzahl, um der des Einflusses und des Reichtums, die er den Patriziern ließ, das Gleichgewicht zu halten. Allein trotzdem war der Vorteil, den er den Patriziern ganz im Geiste der Monarchie durch den Einfluß ihrer Klienten auf die Mehrheit der Stimmen ließ, ungleich größer. Die bewundernswerte Einführung von Patronen und Klienten war ein Meisterwerk der Politik und Menschlichkeit, ohne die das dem Geiste der Republik so völlig widerstreitende Patriziat unmöglich hätte von Dauer sein können. Rom allein gebührt die Ehre, der Welt dieses schöne Beispiel gegeben zu haben, aus dem nie ein Mißbrauch entstand, und das dennoch nie befolgt wurde.
Da die Einteilung in Curien unter den Königen bis auf Servius Tullius bestanden hatte und die Regierung des letzten Tarquinius nicht als rechtmäßig betrachtet wurde, so bezeichnete man später die von den Königen erlassenen Gesetze unter dem Namen leges curiatae.
Da in der Republik die Curien auf die vier städtischen Tribus beschränkt waren und zu ihnen nur noch der städtische Pöbel gehörte, so konnten sie weder dem Senate, der an der Spitze der Patrizier stand, noch den Tribunen gefallen, die, wenn auch Plebejer, doch an der Spitze der wohlhabenden Bürger standen. Sie gerieten deshalb in Verruf; die Verachtung ging so weit, daß ihre dreißig Lictoren, sobald sie versammelt waren, alles entschieden, was den comitia curiata selbst zugestanden hätte.
Die Einteilung nach Centurien war für die Aristokratie so günstig, daß man im ersten Augenblicke nicht begreift, wie der Senat aus den diesen Namen führenden Comitien, in denen die Konsuln, die Zensoren und die übrigen curulischen Würdenträger gewählt wurden, nicht immer siegreich hervorging. Von den einhundertdreiundneunzig Centurien, die die sechs Klassen des ganzen römischen Volkes bildeten, umfaßte die erste in der Tat achtundzwanzig, und da die Stimmen nur centurienweise gezählt wurden, so überwog schon diese erste Klasse allein alle übrigen an Stimmenzahl. Stimmten ihre sämtlichen Centurien überein, so unterblieb deshalb jede weitere Einsammlung der Stimmen; was die kleinste Zahl festgesetzt hatte, galt für die Entscheidung der Menge, und man darf wohl behaupten, daß in den comitiis centuriatis die Entscheidung der Staatsangelegenheiten in weit höherem Grade von der Mehrheit der Taler als von der Mehrheit der Stimmen ausging.
Aber dieser übertriebene Einfluß wurde durch zwei Mittel abgeschwächt: erstens befanden sich gewöhnlich die Tribunen und stets viele Plebejer in der Klasse der Reichen und hielten dem Ansehen der Patrizier in dieser ersten Klasse die Waage.
Das zweite Mittel bestand darin, daß man die Centurien nicht der Reihenfolge nach abstimmen ließ, wobei man den Anfang immer mit der ersten hätte machen müssen, sondern eine durch das Los bestimmte, und diese [Fußnote: Diese durch das Los bestimmte Centurie wurde praerogativa genannt, weil sie die erste war, die man um ihre Stimme befragte; und daher ist das Wort Prärogative entstanden.] schritt dann allein zur Wahl, worauf dann alle übrigen Centurien auf einen andern Tag der Reihe nach zusammenberufen wurden, die Wahl wiederholten und gewöhnlich bestätigten. So entzog man den Einfluß des Beispiels der Rangordnung, um es nach dem Grundsatz der Demokratie dem Zufall zu überlassen.
Diese Sitte hatte noch einen anderen Vorteil zur Folge, und zwar den Vorteil, daß die auf dem Lande wohnenden Bürger zwischen den beiden Wahlen Zeit gewannen, sich nach dem Verdienste des vorläufig ernannten Kandidaten zu erkundigen, damit sie ihre Stimme mit voller Sachkenntnis abgeben konnten. Allein unter dem Vorwande, eine Beschleunigung der Wahlen herbeizuführen, wurde die Aufhebung dieser Sitte durchgesetzt, und beide Wahlen fanden an einem und demselben Tage statt.
Die tribusweise abgehaltenen
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