Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesellschaftsvertrag

Der Gesellschaftsvertrag

Titel: Der Gesellschaftsvertrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
Comitien waren im recht eigentlichen Sinne die Ratsversammlung des römischen Volkes. Nur von den Tribunen durften sie berufen werden; die Tribunen selbst wurden von ihnen erwählt und ließen über die Volksanträge abstimmen. Der Senat durfte ihnen weder beiwohnen, geschweige denn in ihnen abstimmen. Gezwungen, sich Gesetzen zu fügen, über die sie nicht hatten mit abstimmen dürfen, waren die Senatoren in dieser Hinsicht weniger frei als die geringsten Bürger. Diese Ungerechtigkeit ging aus einem höchst bedenklichen Mißverständnisse hervor und wäre schon allein hinreichend gewesen, die Beschlüsse eines Körpers, an dem nicht alle seine Glieder beteiligt waren, ungültig zu machen. Hätten alle Patrizier nach dem Rechte, das sie als Staatsbürger besaßen, diesen Comitien beigewohnt, so würden sie, da sie dadurch einfache Privatleute geworden wären, keinen wesentlichen Einfluß auf die nach Köpfen stattfindende Abstimmung ausgeübt haben, da ja der geringste Proletarier eine ebenso große Macht wie der Vorsitzende des Senates hatte.
    Man sieht also ein, daß außer der Ordnung, die aus diesen verschiedenen Einteilungen für die Feststellung des Abstimmungsergebnisses unter einem so großen Volke hervorging, diese selbst keineswegs zu gleichgültigen Förmlichkeiten herabsanken, sondern daß jede besondere Wirkungen je nach der Absicht hatte, um derentwillen man ihr den Vorzug gab.
    Ohne mich noch ausführlicher darüber zu äußern, ist doch aus den vorhergehenden Erörterungen so viel ersichtlich, daß die Comitien nach Tribus der Volksregierung und die nach Centurien der Aristokratie günstiger waren. Was nun die Comitien nach Curien anlangt, in denen ausschließlich der Pöbel Roms die Mehrheit bildete, so mußten sie, weil sie nur zur Begünstigung der Tyrannei und allerlei böser Anschläge dienten, um so mehr in Verruf kommen, als die Aufrührer selbst ein Mittel verschmähten, das ihre Absichten allzu deutlich verriet. So viel steht fest, daß die volle Majestät des römischen Volkes nur in den Comitien nach Centurien als den allein vollzähligen vorhanden war, da in den Comitien nach Curien die ländlichen Tribus, und in den Comitien nach Tribus der Senat und die Patrizier fehlten.
    Die Stimmeneinsammlung war bei den Römern in der ersten Zeit ebenso einfach wie ihre Sitten, wenn auch nicht ganz so einfach wie in Sparta. Jeder gab seine Stimme laut ab, während ein Schreiber sie der Reihe nach aufschrieb. In jeder Tribus galt die Stimmenmehrheit für das Votum der Tribus, die Stimmenmehrheit innerhalb einzelner Tribus für das Votum des Volkes, und in gleicher Weise wurde bei den Curien und den Centurien verfahren. Diese Sitte war gut, solange noch Redlichkeit unter den Staatsbürgern herrschte und jeder sich schämte, öffentlich für eine ungerechte Sache oder einen ungerechten Menschen zu stimmen; als das Volk jedoch verdorben war und man die Stimmen kaufte, zog man geheime Abstimmungen vor, um die Käufer in Mißtrauen zu halten und den Betrügern zu ermöglichen, nicht als Verräter zu erscheinen.
    Ich weiß, daß Cicero diese Änderung tadelt und ihr zum Teil den Untergang der Republik zuschreibt. Allein obgleich ich fühle, ein wie großes Gewicht hier der Ausspruch eines Mannes wie Cicero haben muß, so vermag ich seine Ansicht doch nicht zu teilen; ich bin vielmehr überzeugt, daß man das Verderben des Staates gerade dadurch beschleunigte, daß man nicht genug ähnliche Veränderungen vornahm. Wie sich die Lebensordnung gesunder Leute nicht für kranke eignet, so darf man auch ein verdorbenes Volk nicht nach denselben Gesetzen regieren wollen, die für ein noch gesundes Volk angemessen sind. Die Richtigkeit dieses Satzes beweist nichts besser als die Dauer der Republik Venedig, deren Schattenbild noch besteht, und zwar einzig und allein deshalb, weil ihre Gesetze nur für schlechte Menschen passen.
    Man verteilte also unter die Bürger Täfelchen, auf die jeder sein Votum schreiben konnte, ohne daß ein anderer erfuhr, wie er stimmte; ferner führte man für das Einsammeln der Täfelchen, das Auszählen der Stimmen, das Vergleichen der Wahlresultate usw. neue gesetzliche Formen ein, was freilich nicht hinderte, daß die Treue der mit diesen Geschäften betrauten Beamten oft verdächtigt wurde. Um dem Parteihader und dem Stimmenhandel ein Ende zu machen, erließ man endlich Verordnungen, deren große Zahl ihre Fruchtlosigkeit beweist.
    In den letzten Zeiten der Republik sah man sich oft

Weitere Kostenlose Bücher