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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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zum Ablauf der von Nastja gestellten Frist geblieben. Sie öffnete die Tür und trat majestätisch auf die Schwelle. Der Blonde mit dem Engelsgesicht stand in einer angemessenen Entfernung von der Tür. Hätten die Wohnungsinhaber die Absicht gehabt, ihn zu packen und in ihre Wohnung zu zerren, wäre ihnen das schwerlich gelungen.
    Nastja schwieg, ihr Blick war voller Hochmut und kalter Verachtung. Keine Andeutung einer Frage, sie musste Gewissheit ausstrahlen, so wirken, als hätte sie die Situation bestens im Griff.
    »Ich soll Ihnen ausrichten, dass man Sie um Entschuldigung bittet«, sagte der Typ mit halblauter Stimme. »Man wird Ihrer Bitte in zwanzig Minuten nachkommen.«
    »Du verwechselst etwas, Kleiner«, erwiderte sie eisig. »Das war keine Bitte, sondern eine Forderung.«
    Sie warf einen demonstrativen Blick auf ihre Armbanduhr.
    »Aber du machst deine Sache gut, du hast es in zehn Minuten geschafft. Geh und iss eine von deinen Piroggen auf der Fensterbank, du hast es verdient.«
    Ein Schritt zurück, das Schnalzen des Türschlosses.
    Sie lehnte ihren Kopf an den Türstock, unfähig, sich zu bewegen. Diese Hundesöhne würden sie also noch zwanzig Minuten auf die Folter spannen. Und sie würde es nicht aushalten. Zwanzig Minuten warten und dann das Gespräch mit ihnen führen. Es würde ein kurzes Gespräch sein, da sie sich auf ein langes nicht einlassen konnten, das war zu riskant. Sie würde ihnen in wenigen Minuten klar machen müssen, dass sie zu allem bereit war, dass sie alles tun wollte, was sie von ihr verlangten. Sie würde Worte finden müssen, die sie ihr glaubten. Das war die einzige Chance. Aber einem lieben, intelligenten Mädchen mit humanistischer Bildung würden sie nicht glauben, weil so ein Mädchen sich niemals auf ein Geschäft mit Kriminellen einlassen würde. Dazu war nur eine kaltblütige, berechnende und völlig gewissenlose Kreatur fähig, eine, zu der sie, Nastja, werden musste.
    Sie ging langsam über den Flur, so, als würde sie eine Kristallschale mit kostbarem Inhalt vor sich hertragen, betrat das Zimmer und setzte sich in den Sessel vor den Fernseher, krampfhaft bemüht, in der so mühsam hergestellten inneren Verfassung zu bleiben. Sie nahm eine Zigarette und drehte sie eine Weile nachdenklich zwischen den Fingern, bevor sie das Feuerzeug schnalzen ließ. Warum ließen sie sie zwanzig Minuten warten? Das Bürschlein hatte also nicht telefoniert. Offenbar war die dafür vereinbarte Zeit noch nicht gekommen. Aber wohin war er gelaufen? Hinter der Ecke hatte jemand auf ihn gewartet, und dieser Jemand würde den Anruf machen, wenn es so weit war. Sie hatten Disziplin, das musste man ihnen lassen! Sie verfügten offenbar wirklich über ein kompliziertes System indirekter Kontaktaufnahme. Warum sich nicht ein wenig damit beschäftigen, warum Zeit verlieren? Wenn sie, Nastja Kamenskaja, so ein System hätte schaffen müssen, wie hätte sie das gemacht?
    Ohne Papier und Stift, sitzend im Sessel, fiel ihr das Denken schwer. Nastja war es gewohnt, über schwierige Dinge bei einer Tasse Kaffee nachzudenken, mit Hilfe komplizierter Planspiele, die sie auf dem Papier entwarf. Aber um zu einem Kaffee zu kommen, hätte sie in die Küche gehen müssen, und dort saß der ungerecht behandelte Ljoscha in seinem Groll gegen sie. Es war jetzt nicht der richtige Augenblick, um mit ihm zu sprechen, Nastja musste an ihrem eisigen inneren Hochmut festhalten. Was also musste einer tun, der an Informationen herankommen und dabei selbst unauffindbar bleiben wollte?
    Die Antwort erwies sich als denkbar einfach. Es war zwar sehr schwierig, so ein Kommunikationssystem zu installieren, aber die Idee an sich war höchst simpel. Und wenn es sich tatsächlich so verhielt, wie Nastja annahm, dann wurde klar, warum Knüppelchens Leute kein Auto mit Abhöranlage in der Nähe entdecken konnten. So ein Auto existierte ganz einfach nicht. Heute setzten alle auf die neue, raffinierte Technik und vergaßen dabei, dass immer und bei allem der Mensch die entscheidende Rolle spielte. Der Mensch und sein Geld. Dieser vermochte, was keine noch so vollkommene Technik leisten konnte.
    Wenn man der Uhr trauen durfte, waren inzwischen dreiundzwanzig Minuten vergangen. Es war nicht höflich von ihnen, eine Dame warten zu lassen . . .
    Als das Telefon läutete, stellte Nastja mit Genugtuung fest, dass sie nicht einmal zusammenzuckte. Sie hatte sich fest in der Hand.
    »Was haben Sie mir zu sagen, Anastasija Pawlowna?«
    Es

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