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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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keinen Kontakt zu den Tätern hast. Du kannst ungenau oder unzuverlässig arbeiten, wenn du deine Auswertungen machst, aber das wird den nicht retten, der dich dafür bezahlt. Du kannst Unterlassungen begehen, so tun, als würdest du etwas Wichtiges übersehen, aber wer sagt uns, dass auch der Ermittlungsbeamte dasselbe übersehen wird? Nein, Kindchen, du bist gefährlich durch das, was du tust, und nicht durch das, was du unterlässt. Für einen, der sich mit Schmiergeld loskaufen will, bist du kein Objekt.«
    »Vielen Dank«, sagte Nastja mit einem schiefen Lächeln. »Sie vertrauen mir also nicht aus Zuneigung, sondern aus Kalkül.«
    Gordejew drehte sich abrupt um, und sein Gesicht war so schmerzverzerrt, dass Nastja erschrak.
    »Ja, so ist es, ich vertraue dir nicht aus Zuneigung, sondern aus Kalkül«, sagte er hart. »Und solange wir nicht wissen, woran wir sind, muss ich vergessen, wie großartig ihr alle seid und wie ich euch liebe. Ich ertrage den Gedanken nicht, dass einer unter uns ist, der ein doppeltes Spiel spielt, denn jeder von euch ist mir lieb und teuer, jeden von euch habe ich selbst eingestellt, gelehrt und großgezogen. Ihr seid alle meine Kinder. Aber alles das muss ich jetzt aus meinem Herzen verbannen und nur noch dem Kalkül folgen, damit die Liebe oder auch einfach nur die Sympathie mir den klaren Blick nicht trübt. Wenn wir das alles hinter uns haben, wird die Liebe zurückkommen. Aber erst dann und nicht früher. Jetzt zur Sache.«
    Viktor Alexejewitsch löste sich vom Fenster und ging langsam zu seinem Schreibtisch. Er war ein hoch gewachsener, breitschultriger Mann mit deutlichem Bauchansatz und einem runden, fast kahlen Kopf. Seine Untergebenen nannten ihn liebevoll Knüppelchen. Dieser Spitzname haftete ihm schon seit dreißig Jahren an und wurde nicht nur bei der Kripo, sondern auch in kriminellen Kreisen von Generation zu Generation weitergegeben. Nastja sah ihn an und dachte, dass er jetzt nichts von dem hatte, was sein Spitzname ausdrückte, jetzt schien er nur aus Schmerz und bleierner Schwere zu bestehen.
    »Angesichts dessen, was ich dir gesagt habe, möchte ich den Fall Jeremina niemandem anvertrauen außer dir. Deshalb bin ich froh, dass du deinen Urlaub abgebrochen hast. Die Sache ist ungut, das riecht man auf hundert Kilometer Entfernung. Irgendeine Firma, Dollars, ein Umtrunk, ausländische Geschäftspartner, eine hübsche Sekretärin, die erwürgt und misshandelt in einem Wald aufgefunden wird, irgendein Bohemien als Freund. Das alles gefällt mir nicht. Solange ich nicht herausgefunden habe, wer von uns Geld für die Nichtaufdeckung von Verbrechen nimmt, wirst du in dem Fall ermitteln. Wenn du ihn nicht aufklären kannst, werde ich zumindest wissen, dass alles Menschenmögliche dafür getan wurde. Fahr morgen früh zur Staatsanwaltschaft, lass dir von Olschanskij sämtliche Unterlagen zeigen und mach dich an die Arbeit.«
    »Ist das ein Scherz, Viktor Alexejewitsch? Wie soll ich das allein schaffen? Hat man schon einmal gehört, dass ein Beamter ganz allein in einem Mordfall ermittelt?«
    »Wer sagt dir, dass du allein bist? Du kannst dich an die Kollegen in der Region wenden, wo die Leiche aufgefunden wurde, und an die Kollegen in dem Stadtbezirk, wo die Jeremina polizeilich gemeldet war. Dort ist eine Akte über den Fall angelegt. Außerdem gibt es die Mitarbeiter unserer Abteilung, denen du über mich Anweisungen erteilen kannst, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Du wirst schon zurechtkommen. Du hast ja Köpfchen, und es wird Zeit, dass du praktische Erfahrungen sammelst.«
    * * *
    An diesem Abend, dem 11. November, beschloss Nastja Kamenskaja, nachdem sie gegen neun Uhr ihr Büro verlassen hatte, zum Übernachten in die Wohnung ihrer Eltern zu fahren, zu der es von der Petrowka 38 sehr viel näher war als zu ihrer eigenen Wohnung. Unter anderem rechnete sie mit einem schmackhaften Abendessen, denn ihr Stiefvater, Leonid Petrowitsch, war, im Gegensatz zu ihr selbst, ein sehr häuslicher Mensch, und der lange Auslandsaufenthalt seiner Frau, der Professorin Kamenskaja, hatte weder etwas an der Ordnung und Sauberkeit in der Wohnung verändert noch daran, dass bei ihm täglich ein Menü aus nahrhaften, gut zubereiteten Gerichten auf den Tisch kam.
    Außer dem Abendessen hatte Nastja aber noch etwas anderes im Sinn. Sie wollte endlich über ein schwieriges und sehr heikles Thema mit ihrem Stiefvater sprechen, den sie von jeher Papa nannte und aufrichtig liebte. Nastja

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