Der Gipfel
ihr meinen Sauerstoff, was sehr dumm war, weil dann womöglich zwei Personen umkippen würden. Aber wenn ich mehr habe als der andere und wir ein Team sind und der andere Probleme hat – so ist es eben.«
Lene sagte, daß die Gruppe sich gut hielt. »Man unternahm alles, um einander zu helfen und vernünftig vorzugehen. Neal tat das Richtige, so gut es ging. Er reagierte so, wie ich, Klev und Tim reagiert hätten.« Sie funktionierten als Team, auch ohne Führung, und taten alles, damit alle durchkamen.
Beidleman drehte den Regler an Sandys neuer Flasche – der fünften, die sie an diesem Tag bekommen hatte – auf drei oder dreieinhalb, weil »ich sie tüchtig beleben wollte.« Der Schwall Sauerstoff und die Wirkung des Medikaments, das eine leichte Euphorie bewirken kann, schien Sandy zu stimulieren. Sie erinnerte sich: »Nach einer Viertelstunde war ich wieder frisch und munter. Runderneuert, könnte man sagen.«
Beidleman stieg vor Sandy am Fixseil ab und setzte mit Lene Gammelgaard, Charlotte Fox und Tim Madsen den Abstieg fort.
Unten hatte Adams sich eben aus dem Fixseil ausgehängt, an dem Beidleman und die anderen sich festmachten. Er war irgendwo zwischen Südgipfel und Balkon, und er hatte Probleme. »Ich gehe also in diese weiße Brühe hinein und sehe keine Spuren mehr, nach denen ich mich richten kann, und meine Gletscherbrille beschlägt sich. Ich nehme meine Sauerstoffmaske ab, damit meine Gläser ein wenig klarer werden. Nach kurzer Zeit aber setze ich sie wieder auf, steige ein Stück ab und merke dann, daß mein Sauerstoff verbraucht ist.«
Adams hatte seine dritte Flasche geleert. Ersatz hatte er keinen, da er sich an die Regel »drei sind die Grenze« gehalten hatte. Der einzige Sauerstoff, der ihm zur Verfügung stand, befand sich in Lager IV, über sechshundert Höhenmeter unter ihm.
»Ich warf meine Flasche weg und lief weiter, auf der Suche nach den nächsten Fixseilen. Dabei kam ich ein wenig von der Richtung ab und wußte nicht mehr, wohin, ob rechts oder links um eine Spalte herum, an die ich mich in meinem jetzi gen Zustand vom Aufstieg her nicht erinnern konnte. Ich setzte mich hin, in der Hoffnung, mich wieder zurechtzufin den, wenn die Sicht besser würde. Wie lange ich dasaß, weiß ich nicht, ob fünf Minuten oder dreißig oder gar eine Stunde, keine Ahnung. Ich saß einfach da.«
Adams war bis knapp unterhalb des Balkons abgestiegen. Hinter ihm kam Jon Krakauer, gefolgt von Mike Groom, einem von Rob Halls Führern, und Yasuko Namba. Die Japanerin, eine Kundin von Adventure Consultants, war knapp hinter den letzten Mountain-Madness-Kletterern auf den Gipfel gekommen.
»Ich sehe diese Leute herunterkommen und denke mir: ›Großartig, mit denen werde ich absteigen.‹ Krakauer geht an mir vorüber, und ich stehe auf und frage Groom, in welche Richtung ich soll. Er zeigt mir die richtige, und ich gehe ein paar Minuten mit ihm. Dann frage ich wieder, in welche Richtung ich soll, und er zeigt auf ein Couloir. 31 Und Krakauer, nicht faul, fährt gekonnt auf dem Hosenboden über den fri schen Schnee ab. Ich denke mir, gute Idee, lasse ihm über zehn Meter Abstand und mache es ihm nach. 32 «
Adams, der seinen Abstieg um ein paar Minuten zu verkürzen suchte, schaffte es. Er fuhr nach eigener Angabe an die neunzig Meter oder mehr ab.
Um welche Zeit Adams am Ende seiner Rutschpartie an kam, kann man nur vermuten. Adams, der sagte, er hätte am Gipfeltag keine Uhr getragen, erinnerte sich, daß unter ihnen der Sturm abflaute und er den Weg zum Lager IV deutlich sehen konnte.
Boukreev schätzt, daß er gegen siebzehn Uhr im Lager IV ankam. Als er sich der Mountain-Madness-Zelten näherte, sah er einige Sherpas, darunter Lhakpa Galgen, einen von Henry Todds Expedition, der für Todd Zelte aufstellte. Lhakpa und Boukreev wechselten einen Gruß, dann kam Boukreev Pemba entgegen, der heißen Tee brachte. Boukreev hatte angenommen, Pemba sei mit zum Gipfel aufgebrochen und habe früher kehrtgemacht. Er hatte keine Ahnung, daß Pemba den ganzen Tag im Lager IV verbracht hatte. 33
Da er annahm, daß die andern bald nach ihm eintreffen würden, bat Boukreev Pemba, noch mehr Tee aufzubrühen. Dann lief er zum Zelt, in dem sich er, Adams, Lene Gammelgaard und Schoening am letzten Abend, vor fast genau vierundzwanzig Stunden, eingerichtet hatten. Merkwürdigerweise erwähnte Pemba nichts vom Funkkontakt, den er laut Ingrid Hunt um sechzehn Uhr dreißig gehabt hatte, als versucht wurde,
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