Der Glanz der Welt
er es längst vernichtet. So blöd ist nicht einmal der Grapschmann, dass er das zwei Jahre herumkugeln lässt.“
„Dann wirst bald eine Hausdurchsuchung genehmigt bekommen“, sagte Himmel.
„Ja“, stöhnte Pirchmoser, „und der Staatsanwalt Kriecher wird eine theatralische Pressekonferenz abziehen, dass die Justiz ohne Rücksicht auf Namen, Einfluss oder Parteibuch vorgeht. Wir werden den Schnittling wieder einmal zwei Tage einbuchten, der wird wieder 20 Mille drauflegen, die Anklagen gegen den Grapschmann werden fallen gelassen, und der wird uns allen erklären, was für ein großartiger Sieg der Gerechtigkeit das sei, und er habe nie Zweifel gehabt, und seine weiße Weste sei sehr erfreut und habe ebenfalls nie an ihrer Fleckenfreiheit gezweifelt. Die Justizministerin wird etwas vom Sieg der Rechtsstaatlichkeit murmeln und dann das Bürgerliche Gesetzbuch neu schreiben. Es ist zum Kotzen und zum Heulen, ich brauch an Schnaps. Wo ist der Giuseppe? Ich brauche einen Spezialschnaps von meinem Vater. Tiroler Enzianschnaps, 56 Prozent, fassgelagert.“
„Den haben sie hier?“, fragte Goutzimsky. „Ich habe immer geglaubt, den gibt es hier in Wien nur bei mir zu kaufen.“
„Seit du nicht mehr der Chef bist, mein lieber Kommerzienrat, macht mein Vater keine Geschäfte mehr mit dem Laden. Er kann den Schnittling nicht riechen, und seine gspritzte Frau hält er auch nicht aus.“
Goutzimsky blickte traurig drein: „Die hat jetzt das große Sagen im Geschäft. Es ist eine Schande.“ Wir alle nickten. „Eine Schande“, sagte Himmel, während ihm die noch immer kalte Zigarette langsam beim Drehen zwischen den Fingern zerbröselte.
An dieser Stelle müssen Ausländern, und das sind alle Menschen, die jenseits der Stadtgrenzen von Wien geboren wurden oder aufgewachsen sind, mehrere Dinge erklärt werden.
Der „Gspritzte“ hat so lange eine halbwegs positive Bedeutung, als es um Wein geht. Im Allgemeinen ist der Gespritzte (hochdeutsch!) ein Achterl Weißwein, das mit ebenso viel Sodawasser „aufgespritzt“ wird. Gespritzt deshalb, weil der echte Gspritzte eben immer mit Sodawasser aus einer dicken Sodawasserflasche gemacht wird. Die steht wiederum unter Hochdruck, sodass das Sodawasser spritzend ins Glas hineinzischt und es einiger Geschicklichkeit bedarf, das so zu machen, dass die Umsitzenden nicht nass und weder Wein noch Sodawasser verspritzt werden. Streng zu unterscheiden vom Gspritzten ist das „Achterl Gieß“, denn hier wird ein Achterl Weißwein mit ebenso viel Mineralwasser verdünnt, indem man Zweiteres in Ersteres gießt. Dies geht leise und ohne Spritzen vonstatten, da Mineralwasser deutlich weniger Kohlensäure besitzt als Sodawasser und nicht unter Druck steht. Außerdem wird beim Achterl Gieß auch Rotwein als Basis akzeptiert, was für Puristen beim Gspritzten etwa völlig inakzeptabel wäre. Leider ist diese feine Unterscheidung zwischen „Gieß“ und „Gspritzter“ heute bei vielen in Vergessenheit geraten, und es kann vorkommen, dass der Gspritzte mit Mineralwasser vermengt wird statt mit Sodawasser. Besonders schlimm für den Kenner ist es, wenn dann auch noch leises Mineralwasser, also fast ohne Kohlensäure, oder gar stilles, also kohlensäurefreies, verwendet wird.
Allerdings muss man auch ganz offen sagen: Der wahre Weinkenner verabscheut alle Varianten dieser Form des Weinpantschens und kann auch diesen Arten des Gespritzten nur negative Adjektive zuordnen.
Womit wir nun zur zweiten Art des Gspritzten kommen, die ausschließlich negativ besetzt ist und immer in Hinblickauf Personen zur Anwendung kommt, denen man bestimmte, nicht so günstige Persönlichkeitsmerkmale zuordnen will. Es gibt dieses Wort in einer weiblichen und in einer männlichen Form: der Gspritzte und die Gspritzte. Gemeint sind damit affektierte Menschen, eingebildete Herren und Damen, denen es mitunter auch etwas an Intelligenz mangelt, ohne dass sie allerdings als wirklich blöd gelten können. In der Wiener Mundart hat dieses Wort, je nach Art des Untertons, mit dem es gesprochen wird, neben dem Haupthinweis auf die Affektiertheit der so Titulierten eine sich leicht wandelnde Nebenbedeutung – eben alles zwischen saublöd und ein wenig dumm. Wer jenseits von Ottakring, Floridsdorf oder Simmering aufgewachsen ist, sollte erst gar nicht versuchen, diese feinen Unterschiede zu erfassen oder herauszuhören, sondern sich mit dem allgemeinen, wenn auch groben Wissen begnügen.
Noch eine dritte
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