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Der Glanz der Welt

Der Glanz der Welt

Titel: Der Glanz der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Amon
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Bedeutung, die wiederum recht einfach zu verstehen ist, hat das Wort „gspritzt“. Bei all jenen Wiener Kartenspielen, insbesondere Tarock und Bauernschnapsen – ja, auch Wiener schnapsen wie die Bauern –, bei all jenen Spielen somit, die es ermöglichen, zu kontrieren, also zu erklären, der Gegner könne das von ihm angesagte Spiel niemals gewinnen, wird „gespritzt“, kontriert, was den Wert verdoppelt. Dies wiederum ist eine Ähnlichkeit mit dem gespritzten Wein – wo der Wert sich für den Wirt meist auch fast verdoppelt, denn ein Achterl Wein und ein Achterl Soda extra bestellt sind meist deutlich billiger als beides in einem Glas gemeinsam serviert. Außerdem kann man den Weingehalt im Gspritzten nicht mehr überprüfen. So stellt die Wiener Sprache, gewollt oder ungewollt, mitunter Bedeutungszusammenhänge her, die uns erst bei genauerem Hinsehen auffallen.
    Wir waren also bei der gspritzten Frau vom Schnittling und beim Kommerzialrat, dessen wichtiges Wirken für diese Stadt wir an dieser Stelle erörtern wollen. Denn er hat den Genuss nach Wien gebracht. Beim „Schnittling unter den Hülben“ bekam die staunende Wiener Gesellschaft Lebensmittel zu kaufen, die sie entweder noch gar nicht kannte oder im fernen Paris vermutet hatte. Goutzimsky war der Erste in der Stadt, der neben Beinschinken erster Qualität ebensolche Weine führte. Zum Martinigansl empfahl er einen Roero Arneis von Bruno Giacosa. Man bekam schon Lachs, als der noch richtig wild und richtig teuer war, und Champagner von Krug war noch ein Geheimtipp. Er führte 15 verschiedene Sorten Tiroler Speck, lange bevor die armen Schweine ihr Leben auf der Autobahn und in Massentierhaltung verbrachten. Speck aus echten Tiroler Schützenschweinen, wenn man so will. Enten aus Nantes, Hühner aus der Bresse. 10.000 Artikel führte er in seinem Luxusladen, er war dessen Seele und dessen Hirn. Er brauchte keinen Computer, denn er war der Goutzimsky. Immer mit Rat zur Stelle, wenn ein Kunde sich nicht auskannte. Seine Weinempfehlungen waren ebenso überraschend wie der Käse vergammelt. Der ganze Käsestand stank folglich zum Himmel und war daher in weiterer Folge der Himmel der Käseliebhaber. Im ganzen Land gab es Schnittling Filialen, sie hatten einen guten Namen. Wer sich was leisten wollte, ging zum Schnittling. Das war seit den späten Tagen der Monarchie so. Aber keiner dieser Läden konnte es mit dem von Goutzimsky aufnehmen. Es gab nur diesen einen Laden in der Kette und nur einen Kommerzialrat. Man war seit Jahrzehnten gewohnt, ihn irgendwo im Geschäft mithelfen zu sehen. Er füllte die Regale nach, war sich nicht zu gut, an der Kassa beim Einpacken zu helfen, und zwischendurchbefriedigte er noch das Sprechbedürfnis der Hofratswitwen, wechselte ein paar Worte mit dem dekadenten Sohn eines uralten Wiener Strafverteidigers und betitelte die grüne Kandidatin für den Nationalrat mit „Gnädige Frau“, was diese mitunter ungnädig quittierte. Obwohl hier die oberen Zehntausend der Stadt einkauften, kannte dieser Mann keine Standesdünkel. Oder vielleicht einen, einen einzigen: Es gibt Leute mit Geschmack und Leute ohne einen solchen. Das war keine Geldfrage, sondern eine Frage des Gaumens und der Aufgeschlossenheit.
    Jahrzehntelang war er der Herr über das Gute. Dann kam Schnittling XVI. und wollte kein Lebensmittelhändler mehr sein. Er war Bankier, auf Französisch. Er war modern. Also Banker, englisch. Die winzige Schnittling-Bank, seit Jahrzehnten ein kleines Zubrot der Familie, weil die Kunden dort nach dem Kauf von zehn Deka Extrawurst auch gern noch hundert Schilling auf das Sparbuch legten, diese kleine Schnittling-Bank war nun zu klein. Über Jahrzehnte hatte die Familie sich so billig finanziert und gleichzeitig der Kundschaft eine Freude gemacht. Aber Thaddäus Schnittling XVI., genannt il banchiere , kannte nur eine Person, der er eine Freude machen wollte: sich selbst. Er verscherbelte die Ladenkette, der Name verschwand von den Geschäftsportalen und schien dafür auf den Zertifikaten von Schnittling-Utopia-Air wieder auf. Und von Schnittling-Utopia-Land. So einfach war das. Nur den Laden Unter den Hülben hatte er behalten. Damit der Name bekannt blieb, und weil er glaubte, mit Luxus viel Geld verdienen zu können. Er warf den Kommerzialrat hinaus, baute großkotzig um, seine Frau bekam den Laden als Spielwiese, senkte Qualität und Einkaufspreise der Waren, erhöhte dafür die Preise, und der Laden lief weiter wie

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