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Der Glanz der Welt

Der Glanz der Welt

Titel: Der Glanz der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Amon
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Vielleicht schmeckt er dir ja gar nicht.“
    „Traditionell oder modern ausgebaut?“, fragte ich.
    „Rat mal!“ Goutzimsky sah mich fragend an.
    „Traditionell, sonst würden sie nicht ,kein Barrique‘ draufschreiben“, sagte ich. Ich mochte den modernistischen Stilnicht. Ein Brunello ist kein Bordeaux. Das kleine Eichenfass macht den Brunello kaputt, gesichtslos. Er hat dann diesen typisch internationalen Geschmack, Kalifornien, Australien, Südafrika, immer die gleiche, tanninlastige Vanillesauce. Der Brunello, und wenn er noch so elegant ist, bleibt immer ein bäuerliches Getränk mit Ecken und Kanten. Er wird älter und seidiger, samtener, er rinnt sanft über deine Zunge, und dann plötzlich wehrt er sich, der Prankenschlag eines plötzlich erwachten Raubtiers, irgendwo lugt ein wenig unerwartete Säure hervor und belegt die Zunge, irgendeine Geschmacksnuance, auf die man nicht gefasst war, taucht auf.
    „Ein guter Brunello ist immer unberechenbar“, sagte ich.
    „Meine Schule“, sagte Goutzimsky stolz. Ich konnte nicht widersprechen. Meine ersten Schritte in der Welt des Weines hatte ich unter seiner Führung getan. Er empfahl mir Weine, riet zu passenden Speisen, legte mir oft, wenn er mich erblickte, bei der Kassa noch schnell irgendeine besondere Flasche ins Körbchen, sagte: „Die geht aufs Haus“, sie wurde also nicht boniert, oder er schrieb mit dem Filzstift schnell einen Sonderpreis auf die Flasche, wenn ich selbst eine Entdeckung gemacht hatte, die ihm bedeutsam erschien. Es war ihm offenbar wichtiger, Menschen von einem Wein zu überzeugen, als die volle Handelsspanne zu kassieren.
    „Giuseppe“, rief Pirchmoser, der uns schweigend zugehört hatte, „wo bleibt mein Schnaps?“
    Giuseppe eilte herbei, wischte sich die Hände an seiner Schürze ab: „Una genziana?“ Pirchmoser blickte sich um und sah uns der Reihe nach an: „Uno, due, tre, quattro“ und zeigte Giuseppe mit den Fingern der rechten Hand die Zahl vier, indem er den Daumen einknickte und die anderen vier Finger kerzengerade in die Höhe hielt.
    „Bitte nicht“, sagte Himmel, „dieses Getränk ist die Hölle. Ohne Zigarette schaffe ich den nicht.“ Pirchmoser grinste, holte den Daumen aus der Versenkung und streckte alle fünf Finger vor Giuseppe aus: „Cinque! Für dich auch einen, Giuseppe!“
    „No, no!“, wehrte Giuseppe ab. „Bin ich Chef di cucina, il padrone, muss ich nicht trinken dürfen.“
    „Nimm die Spezialflasche, die mein Vater voriges Jahr gebracht hat“, sagte Pirchmoser.
    Himmel wurde immer skeptischer: „Spezialflasche?“
    „Ja!“, sagte Pirchmoser. „Voriges Jahr hat mein Vater es mit 60 Prozent versucht. Der bringt’s, glaub mir!“
    „Sechzig???“ Himmel schüttelte sich. Ich schüttelte mich auch. Goutzimsky schmunzelte, und Pirchmoser wandte sich ihm zu: „Was sagst du?“
    „Ziemlich gewöhnungsbedürftig. Den verwenden die Tiroler Schützen jetzt statt der Munition zum Schießen“, lachte Goutzimsky. Pirchmoser klopfte ihm mit der linken Hand so kräftig auf die Schulter, dass der Kommerzialrat zusammenzuckte. Er hatte einen Fehler gemacht. Jeder wusste, man durfte Pirchmoser nicht zu nahe kommen, sein Schulterschlag kam einer Enthauptung gleich. Die Hand gab man ihm nur vorsichtig, ein Schraubstock wirkte gegen seinen Händedruck zögerlich. Nach einem solchen Händedruck empfahl es sich, die Druckstellen mit Murmeltierfett, Tiroler Murmeltierfett natürlich, zu behandeln. Kenner wichen lieber auf die Umarmung aus. Auch die war kein Lercherlschas, aber doch weniger schmerzhaft, nur der ausufernde Vollbart kitzelte einen im Gesicht, wenn man von Pirchmoser ordentlich geherzt wurde. Brustkorbprellungen dagegen waren eher selten.
    Ein gestandener Tiroler, zumindest versuchte Pirchmoser, uns dieses Klischee vorzuleben.
    „Quattro“, wiederholte Giuseppe und kehrte doch mit fünf Stamperln zurück.
    „Sechzigprozentiger Enzian ist das letzte Abenteuer, das die Zivilisation noch bietet“, sagte Himmel und schaute nachdenklich seine endgültig zerbröselte Zigarette an.
    „Wenn man vom achtzigprozentigen Inländer-Rum absieht“, warf ich ein.
    „So was trinken nur die Deutschen, und das auch nur, weil sie glauben, dass irgendwelche Bergfexe das ebenfalls in sich hineinleeren“, sagte Pirchmoser. „Außerdem trinkt einen Achtzigprozenter niemand pur. Und wenn, dann nur einmal im Leben.“
    Es stimmte. Vor einigen Jahren, vor ziemlich einigen Jahren, hatten bekannte

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