Der Glaspavillon
von seinem Handy angerufen.«
»Denkst du das gleiche wie er, Theo? Daß ich meine Nase in Angelegenheiten stecke, die mich nichts angehen?«
»Wenn du das noch fragen mußt, bist du weniger intelligent, als ich dich eingeschätzt habe, Jane. Ich finde, du machst dich lächerlich.«
Damit legte er auf. Eine nach der anderen wurden die Türen der Familie Martello vor meiner Nase zugeschla-gen.
Ich spähte in meinen Kleiderschrank. Mein graues Gabardinekostüm mit dem langen, engen, bis zum Knie geschlitzten Rock? Zu sehr Geschäftsfrau. Das rote enge Kleid mit dem tiefen Ausschnitt und den langen Ärmeln?
Zu sexy. Das kleine Schwarze? Zu bieder. Leggings mit einer chinesischen Seidentunika in Herbstfarben? Zu zurückhaltend. Ich probierte eins nach dem anderen vor dem langen Spiegel und entschied mich schließlich doch für die Tunika. Dann ließ ich mir ein Bad einlaufen, wusch mir die Haare und kleidete mich langsam an. Ich zog einen grünen Lidstrich, tuschte meine Wimpern und schminkte mir die Lippen dunkelrot. Ich lächelte in den Spiegel, aber mein Spiegelbild lächelte ängstlich zurück. Viel zu aufgedonnert. Also befeuchtete ich einen Wattebausch mit Make-up-Entferner und wischte den Lidstrich wieder weg.
Schließlich war es doch nur eine Dinnerparty, kein Examen. Ich bürstete mir die Haare zurück und steckte sie hoch, legte die tropfenförmigen Bernsteinohrringe an und tupfte Rosenwasser auf die Handgelenke. Außer mir waren noch sieben Gäste eingeladen, und natürlich würde Caspars Tochter da sein. Was sollte ich bloß tun, wenn sie mich nicht mochte?
Fanny betrat den Raum rückwärts, einen schweren Koffer hinter sich herziehend. Dann wandte sie sich um und sah uns ernst an.
»Ich bin auf Reisen«, verkündete sie. Vor meinen Knien machte sie halt und betrachtete mich einen Moment mit Caspars grauen Augen. »Wer bist du?«
Caspar machte keine Anstalten, sich einzumischen, sondern wartete nur die Antwort ab.
»Jane.«
»Sag mir alle Wörter, die sich auf Jane reimen. Auf die Plätze, fertig, los.«
Ich gab mir alle Mühe.
»Jetzt mit Fanny, Los!«
»Danny, Annie, Mannie …«
»Das sind alles bloß Namen. Ich will richtige Wörter.«
Ich versuchte es, kam aber nicht weit.
»In der Schule sagen die Mädchen immer, Fanny bedeutet Vagina, und dann singen sie ›Fanny hat ’ne Fanny‹.
Meinst du auch, Fanny heißt Vagina?«
»Viele Wörter haben unterschiedliche Bedeutungen. Für manche Leute bedeutet Fanny tatsächlich Vagina, für mich bedeutet Fanny jetzt ein fünfjähriges Mädchen, das auf Reisen ist. Als ich in der Schule war, haben mich die anderen immer ›Plain Jane Crane‹ gerufen, dabei war ich weder unscheinbar noch ein Kran.«
Jetzt stand Caspar auf und sagte zu Fanny: »Na, dann komm jetzt lieber mal. Wir lesen noch ein Kapitel Pippi und lassen unsere Gäste ein paar Minuten allein. Ihr wißt ja, wo der Wein ist.«
Sie streckte ihm die Arme entgegen, und er hob sie auf seine Schultern.
»Noch ein Glas Wein, Jane?«
»Höchstens ein halbes.«
Ich streckte die Hand aus, um meinen Worten Nach-druck zu verleihen, und dabei berührten sich unsere Finger. Mein Atem stockte. Mir wurde flau im Magen, mein Herz zappelte wie ein Fisch.
»Wie hast du Caspar kennengelernt?« fragte der Mann neben mir – Leonard, der im Tropenkrankenhaus arbeitete und gerade aus Angola zurückgekommen war.
»Ich habe bei einer öffentlichen Versammlung neben ihr gesessen, und sie hat mich angeschrien«, mischte sich Caspar ein.
»Und dann ist er zu einer Bürgerversammlung gekommen, an der ich teilnehmen mußte, und jemand hat ihm ein blaues Auge verpaßt.«
»Für einen überzeugten Pazifisten läßt du dich in ziemlich viele Schlägereien verwickeln«, meinte Carrie von der anderen Seite des Tischs. »Hat dich nicht auch schon mal ein Penner verhauen, als du versucht hast, ihm Geld zu geben?«
»Das war ein Mißverständnis.«
»Na klar«, sagte Eric mit den roten Haaren und den abgebissenen Fingernägeln. »Und dann auch noch die alte Dame im Supermarkt, als du mit ihrem Einkaufswagen weggegangen bist. Bei der richtigen Beleuchtung sieht man die Narbe immer noch.«
Es war ein wunderschöner Abend mit interessanten, lockeren Gesprächen gewesen. Caspars Freunde hatten mich empfangen, als hätten sie schon viel von mir gehört.
Gelegentlich, wenn ich Caspar ansah, ertappte ich ihn dabei, wie er mich musterte. Bei allem, was ich sagte oder tat, war ich mir stets bewußt, daß er sich
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