Der Glaspavillon
Alan. Er spaziert irgendwo im Garten herum. Ich möchte gern mit Jane unter vier Augen sprechen. Und dann mit dir, auch allein. In Ordnung?«
Als Fred gegangen war, sagte Martha: »Ich hatte lange Zeit, mich auf das Sterben vorzubereiten, aber irgendwie wird es dadurch auch nicht leichter.«
»Hast du Angst?« fragte ich.
»Ich fürchte mich entsetzlich, wenn du’s genau wissen willst. Ich denke an dieses große schwarze Loch, das mich erwartet, und es kommt mir gar nicht so vor, als wäre mein Leben wirklich vorbei. Es ging alles viel zu schnell, ich fühle mich irgendwie betrogen. Aber mit Alan kann ich nicht darüber sprechen. Er redet nur davon, daß es mir in ein paar Wochen sicher wieder bessergehen wird, und überlegt, wo wir dieses Jahr Ferien machen sollten – weißt du, ich glaube, er hat sogar schon mit dem Reisebüro telefoniert. Er bemuttert mich entsetzlich, und ich kann nicht mal ein Glas Wasser trinken, ohne daß er gleich angeschossen kommt, um es für mich zu halten.« Sie hob ihre zitternde Hand. »Ein andermal sagt er, ich sollte versuchen aufzustehen und einen Spaziergang im Garten zu machen. Er schneidet Rezepte aus und ermuntert mich, sie auszuprobieren. Oder er kocht selbst für mich, Knödel und solches Zeug, und lädt ungefähr fünfmal soviel auf meinen Teller, wie ich essen kann. Dann beobachtet er mich, wie ich esse. Über Dinge, die wir regeln müssen, kann ich nicht mit ihm sprechen. Dinge für die Zeit nach meinem Tod.«
»Kann ich irgend etwas für dich tun?«
Sie blickte mir fest in die Augen, als wüßte sie alles. »Ja.
Alan hat dir immer vertraut. Paß auf ihn auf. Kümmere dich um ihn, Jane.«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann, Martha«, entgegnete ich.
»Doch, du kannst es«, sagte sie fest.
Wie soll man sich von einem geliebten Menschen verabschieden, wenn man weiß, daß man ihn nie wiedersehen wird? Ich beugte mich zu Martha hinab, und sie blickte mit glanzlosen, müden Augen zu mir empor.
»Du bist so schön«, sagte ich, was mir furchtbar lächerlich vorkam, und strich eine weiße Haarsträhne aus ihrer Stirn. Ich küßte sie auf beide Wangen und auf den Mund.
»Es tut mir leid«, sagte sie zu mir.
Auf dem Heimweg fuhr Fred viel zu schnell. Es herrschte reger Verkehr auf den Straßen, und es war neblig, aber er blieb auf der Überholspur, bremste scharf, wenn plötzlich ein Wagen vor ihm auftauchte, und hupte jeden an, der vernünftigerweise langsamer fuhr. Zunächst schwieg er, was mir auch lieber war. Im Radio liefen die Nachrichten, danach kam ein Theaterstück, dem ich nicht folgen konnte. Etwa sechzig Kilometer vor London sagte er:
»Jane, es muß aufhören.«
Ich unternahm nicht mal den Versuch, so zu tun, als würde ich ihn nicht verstehen. »Warum sagst du das, Fred?«
Er hieb mit der Faust aufs Lenkrad, wich etwas Totem aus, das auf der Straße lag, und antwortete: »Begreifst du denn nicht, daß wir von diesem ganzen Unsinn genug haben? Ich habe mit Claud gesprochen – der dir unter den gegebenen Umständen unglaublich viel Verständnis entgegenbringt, finde ich –, und er hat erzählt, es hätte irgendwas mit einer Therapie oder so zu tun. Mit Theo hab ich auch gesprochen. Was hast du denn vor?«
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber er war noch nicht fertig.
»Ich weiß nicht, warum dir soviel daran liegt, dich zu rächen – wo du es doch warst, die Claud verlassen hat, aber vergessen wir das mal. Wir können es einfach nicht mehr ertragen, daß du in unserem Leben herumschnüffelst. Und jetzt liegt auch noch Mummy im Sterben –
kannst du nicht endlich aufhören?«
»Ich tu doch gar nichts.«
»Ach, red keinen Unsinn. Was willst du von uns? Laß uns in Frieden. Mach ruhig weiter mit deiner Nabelschau-therapie, aber uns laß bitte in Ruhe. «
Natürlich hatte er wieder getrunken. Aber dachten die anderen auch so über mich? Ein Teil von mir sehnte sich danach, daß man mir vergab und mich wieder im Schoß der Familie aufnahm, aber irgend etwas hielt mich zurück.
Den Rest der Fahrt legten wir in grimmigem Schweigen zurück.
Ich sollte mir eine Katze zulegen, dachte ich, während ich die Eingangstür aufschloß und das kalte, stille Haus betrat. Ohne den Mantel auszuziehen, ging ich zum Telefon im Wohnzimmer und wählte Theos Nummer. Er hob sofort ab.
»Theo, hier ist Jane.«
»Hallo, Jane.«
Er klang nicht sonderlich erfreut.
»Ich muß mit dir sprechen. Ich war gerade mit Fred unterwegs.«
»Ja, ich weiß. Er hat mich
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