Der gleiche Weg an jedem Tag
über etwas anderes sprachen, die Korridore, die ich entlangging. Es war das Jetzt, dessen Umrisse ich nicht begriff, erst später begreifen sollte, als ich sie aus der Ferne betrachtete.
Langsam, Stufe für Stufe, ging ich hinab. Es roch nach Linoleum, nach Bratkartoffeln, nach Putz, nach Dampf. Türen wurden geknallt, unten hupten Autos, aus den Fenstern zum Innenhof warfen die Mädels leere Gläser und Flaschen und riefen alles Mögliche, was im Treppenhaus nicht deutlich zu hören war. All das war tief in mir drin, und auf einmal spürte ich, wie es sich von mir entfernte, und begriff, dass ich sehr bald von hier weggehen würde. Meine Gestalt würde in den Jahren, die da kommen sollten, noch eine Zeitlang in der Erinnerung bestehen, dabei immer verschwommener werden und sich mit anderen vermengen. Andere Mädchen würden die leeren Korridore unter dem gelblich gleichmütigen Deckenlicht entlanglaufen, behindert von den langen SchöÃen der Schlafröcke, und auf etwas warten, mit demselben Schauder wie ich.
Die Stadt da drauÃen, der ich näher kam, war eine andere, und Petru, der mich vor der Glastür erwartete, auch Petru war ein anderer, als ich glaubte, aber es sollte noch lange dauern, bis ich mir dessen bewusst wurde.
Stufe für Stufe ging ich langsam hinab. Ich war der Tür so nahe, dass ich die Endlosigkeit der Stadt spüren konnte. Die Häuser hatten tiefere Wurzeln geschlagen als die Bäume, und die Farben der Tage flossen zu einer einzigen zusammen, nur wusste ich es nicht. Ich konnte nur hinuntergehen zu dem, auf das ich gewartet hatte, etwas hatte ich verloren in all der Zeit, ich hatte gelernt, geduldig zu sein. Mit dem, was mir geblieben war, würde ich weitergehen und dabei das automatische Lächeln über mein Gesicht breiten, misstrauisch gegen jegliche Freude.
Jetzt ging ich schon über das Pflaster, über Haufen von feuchtem Laub, und spürte, wie die bisherigen Ereignisse von mir abfielen, was sich in den verwunderten Augen spiegeln mochte, von denen ich hoffte, dass sie um mich waren. Nichts Besonderes war mir passiert, dennoch sollte ich für kurze Zeit zum Mythos der Korridore werden, über mich sollte abends in den Zimmern geredet werden. Ich war froh, dass ich wegging, aber die Luft dieses Provisoriums nahm ich für immer mit und wusste jetzt, dass ich sie mir zu eigen gemacht hatte in all der Zeit, in der ich darauf brannte, sie zu verlassen. Ich mochte sie ebenso wie meinen Körper, aus Vertrautheit, mit Widerwillen, aus Gewohnheit.
»Es hat etwas gedauert, bis du dich entschlossen hast, herunterzukommen«, flüsterte er mit einem spöttisch schiefen Lächeln.
Ich spürte seinen warmen Händedruck, so unwirklich weich, dass ich mich wieder fragte, ob ich ihn mir nicht nur einbildete.
»Gehen wir«, sagte ich und verlangsamte meinen Schritt.
Im letzten Fenster, an dem wir vorbeikamen, sah ich unsere Gesichter ineinanderflieÃen. Einen Augenblick noch versuchte ich, meines zu unterscheiden, aber es war zu spät. Sein Leben hatte meine Züge überströmt und erstarren lassen, meine Mundwinkel kerbten sich mit der Zeit ein wie die Ringe unter den Augen, die sich glichen wie bei Menschen, die man zu zweit denkt.
Glossar
Alphabetisierungskampagne Von den rumänischen Kommunisten zentral gesteuerte und propagandistisch genutzte Aktion Anfang der fünfziger Jahre zur Behebung des Bildungsnotstands vor allem im ländlichen Raum
Ion Antonescu 1882â1946, Marschall und faschistischer Diktator Rumäniens, der das Land zum Bündnispartner Hitlerdeutschlands (1940â1944) gemacht hat. Als Kriegsverbrecher verurteilt und hingerichtet.
Nicolae BÄlcescu 1819â1852, rumänischer Historiker, als Politiker Schlüsselfigur der Bewegung von 1848 in der Walachei. In der Emigration in Palermo gestorben.
Ion C. BrÄtianu 1864â1927, national-liberaler rumänischer Politiker und Reformer, mehrfach Ministerpräsident, Betreiber der Westbindung Rumäniens, zumal des Beitritts zur Entente
George CÄlinescu 1899â1965, Literaturhistoriker und Kritiker, Schriftsteller, Autor einer vielbeachteten subjektiven Gesamtdarstellung der rumänischen Literaturgeschichte und etlicher Künstlerromane
Faschistische Regierung Die dreiÃiger Jahre des 20. Jahrhunderts in Rumänien sind geprägt von den Auseinandersetzungen zwischen rechtsextremen
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