Freche Mädchen... 10: Headline mit Herz
Katastrophenmeldung
»Wahrscheinlich ist das unsere letzte Redaktionskonferenz. Wir können chillen, Leute.« Marvin lehnt sich wie the Bigboss mit verschränkten Armen im Chefsessel zurück, den er zu Beginn des Treffens mit einem Hechtsprung besetzt hat. Die Füße in den abgefahrenen Sportschuhen pflanzt er auf den Konferenztisch.
Das Redaktionsteam unserer Schülerzeitung Insight trifft sich an diesem Montagmorgen im August zum ersten Mal nach den Sommerferien, um die nächste Ausgabe zu bequatschen.
Warum Marvin, der Klugscheißer, sich mal wieder übertrieben gut informiert gibt, weiß ich nicht, aber er tut das ständig. Er ist mit seinen knapp zwölf Jahren der Jüngste im Team, will später mal Sportreporter werden und behauptet, wir hätten ihn nur aufgenommen, damit wir sagen können, die Redaktion setze sich jahrgangsübergreifend zusammen und die Jüngeren hätten genauso viel zu melden wie die Älteren.
Konkret falsch liegt er damit nicht.
Ich könnte gut auf die Labertasche mit den blonden, mit Gel gehärteten Klobürstenhaaren und der gepunkteten Knollennase verzichten. Vor allem, wenn er glaubt, einen Bildungsauftrag zu haben, und uns die Welt erklärt.
Am liebsten würde ich seinen Einwand übergehen und gleich auf den Inhalt der nächsten Ausgabe zu sprechen kommen, aber die anderen starren ihn an.
So hat er sich das erhofft.
Ein sattes Grinsen liegt auf Marvins Hamsterbäckchen.
Das gefällt ihm, im Mittelpunkt zu stehen.
»Wie meinst du das jetzt?«, erkundigt sich Ilona auf ihre etwas behäbige Art. Sie ist lieb und geduldig wie eine Elefantendame und sieht zu ihrem Leidwesen auch so aus. Für ihre dreizehn Jahre ist sie mit einem Meter fünfundachtzig riesengroß und ziemlich schwergewichtig. Manche nennen sie nicht nur hinter ihrem Rücken, sondern offen »Blümchen«, als Anspielung auf den Dickhäuter Benjamin und weil sie mit Nachnamen zudem Blumenberg heißt.
Ich als Chefredakteurin der Insight sehe Ilona als erstklassige Fotografin. Sie hat das perfekte Händchen für Digitalfotografie und schießt nicht nur die originellsten Schnappschüsse, sondern bearbeitet sie auf ihrem PC-Programm auch wie ein Profi. Besser geht’s nicht.
»Ich kann dir sagen, wie er das meint.« Ich drehe mich auf dem Hocker zu Ilona und streiche mir die schwarzbraune Mähne über die Schultern, weil die Locken an meinen Wangen kitzeln. »Marvin findet, es sei Zeit, dass wir uns mal wieder nur um ihn kümmern, auch wenn er den größten Bullshit verzapft. Aber, Leute, hey, wir haben nur diese Freistunde, gleich müssen wir alle wieder in den Unterricht. Ich fände es prickelnd, wenn wir bis dahin zumindest den Inhalt der ersten Ausgabe besprochen und entschieden hätten, wer welchen Artikel schreibt, und …« Der Kugelschreiber, an dem ich mit dem Daumen klicke und drehe, zerfällt in seine Bestandteile. Hülle, Mine und alles drum herum fallen zu meinen Füßen. Ich muss blöderweise auf die Knie gehen, um die Einzelteile zusammenzuklauben.
Die Blicke der anderen brennen mir auf dem Mittelscheitel.
Wie peinlich. Aber nicht ungewöhnlich. Ich bin Weltmeisterin in Sachen Schusseligkeit. Idiotischerweise ist es am gruseligsten, wenn mir wirklich etwas wichtig ist.
»Sehe ich genauso«, stimmt mir Technik-Mann Lasse derweil zu und schiebt die schwarz umrandete Brille, die ihm auf die Nasenspitze gerutscht ist, mit dem Zeigefinger wieder zurück. Er ist mit seinen siebzehn Jahren der Älteste von uns und besucht die Oberstufe.
Nur Celine, die eine Klasse über mir ist und in die 9a geht, schweigt. Die Arme vor der Brust verschränkt, die Augen zu Schlitzen verengt und mit eingefrorener Miene schaut sie zwischen uns hin und her. Sie spricht nur wenig, aber ihrem Reptilienblick entgeht nichts.
»Wir können einpacken«, haut Marvin ungebremst den nächsten Spruch heraus. Ich stöhne genervt, als ich mich wieder auf meinen Stuhl fallen lasse und die gesammelten Kugelschreiberbestandteile vor mich auf den Tisch lege. Technikbastler Lasse beginnt gleich mit der Reparatur. Er kann das blind. Lasse behauptet, seine technische Begabung sei ausgleichende Gerechtigkeit bei jemandem wie ihm, der so sportlich ist wie ein Mettbrötchen.
»Deine Tage als Reporterqueen sind gezählt, Merle«, fährt Marvin fort.
Celines Giggeln klingt wie klirrendes Eis.
Ich finde das so lustig wie Honig auf der Tastatur. »Kannst du mal aufhören, in Rätseln zu quasseln, Marvin? Was ist los? Lass mal Text raus. Macht nichts,
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