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Der globale Polizeistaat

Der globale Polizeistaat

Titel: Der globale Polizeistaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Darnstädt
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Militärs kürzen sie alles ab, im Ernstfall geht es schneller so. »Silura« ist das Kürzel für die Nato-Anlage hier. Sicherheit im Luftraum: Sie kontrollieren jede Flugbewegung von der Nordsee bis zum Baltikum. Wer sich als Kind beim Einschlafen vorstellte, der liebe Gott wache des Nachts über ihn und deshalb werde er am nächsten morgen gesund und munter bei Sonnenschein wieder geweckt, muss sich nun die Stacheldrahtanlage an der holländischen Grenze vorstellen. Denn dort wird der Schlaf der Bürger bewacht. Ein Netz von Radarstationen, zur Verstärkung Awacs-Flugzeuge mit ihren großen Funkpilzen: Der israelische Botschafter, der mit seinem Dienstwagen durch die Nacht reist, wird ebenso wenig übersehen wie die Bundeskanzlerin, wenn sie nicht zu Hause schläft. Beide bewegen sich als potenziell gefährdete Ziele als kleine rote Kreise auf der Computerkarte, die riesengroß an die Wand des schummerig beleuchteten Einsatzraumes gebeamt wird.

    Polizisten und Militärs sitzen auf ihren grau-rosa Drehstühlen Schulter an Schulter. Aus Lautsprechern quaken Einsatzbefehle. Direktverbindung mit Abfangjägern, die binnen Minuten jede Stelle der Himmelsbildschirme erreichen können: Ist schon Krieg oder noch Frieden?
    Was für eine Frage. Draußen liegen im Vollmondschein friedlich die Wiesen und Äcker der Bauern von Uedem und Kleve, von fern leuchtet in warmem Licht die Schwanenburg, das Wahrzeichen des idyllischen Klever Landes. Ein Schwan krönt die Spitze des höchsten Turmes. Die Bürgersteige im Dörfchen sind schon hochgeklappt. Im Sommer kann man hinterm Einkaufszentrum die Grillen hören. Doch drinnen im Kommandoraum haben sie bei viel Kaffee mit einem Problem zu kämpfen: Die unheimliche Bedrohung, gegen die sie da ansitzen, ist immer da.
    Das ist etwas Neues. Die Offiziere, die hier Dienst tun, haben gelernt, wie man einen Krieg erkennt. Erst die Krise, dann die Truppen in Bereitschaft, schließlich die Erwartung von Panzern oder Raketen, deren Absender man kennt - mit dem man vielleicht vor Kurzem sogar noch diplomatische Noten ausgetauscht hat. Irgendwann ist jeder Krieg auch wieder zu Ende. Für die Überlebenden ist dann Dienstschluss. Eine fürchterliche, aber immerhin logische Angelegenheit. Die Beamten der Bundespolizei auf den Stühlen neben den Kriegsspezialisten sind Gefahrenabwehrspezialisten, auch sie müssen sich an den Kampf gegen die unbestimmte Bedrohung erst gewöhnen. Gefahrenabwehr, das ist eine Aufgabe im Frieden, auch hier geht es grundsätzlich logisch zu. Eine Gefahr, haben sie gelernt, ist eine Situation, in der sich ein Schaden, ein Unglück, ein Verbrechen ankündigt. Bevor sich nicht prognostizieren lässt, was konkret passieren wird, kann man als guter Polizist auch nichts tun. Es besteht, wie dies modisch heißt, kein andlungsbedarf. Doch die Situation, die den Männern bei Silura den Schlaf raubt, ist weder noch. Weder Krieg noch Frieden, noch Gefahr. Innenminister Wolfgang Schäuble, dessen Bild hier neben dem der Generäle an der Wand hängt, hat gesagt, dass »die alte Einteilung
nicht mehr stimmt«, die Einteilung zwischen Krieg und Frieden.
    Der Mann, der dem Sicherheitspolitiker Wolfgang Schäuble schon öfter in den Arm gefallen ist, heißt Wolfgang Hoffmann-Riem. Mehrere Gesetze, die Schäuble für unverzichtbar bei der Terroristenbekämpfung hielt, Gesetze zum Belauschen Verdächtiger, zur Rasterfahndung, Gesetze hinsichtlich der Sicherheit vor Angriffen mit Terrorflugzeugen, hat das Bundesverfassungsgericht unter Federführung oder zumindest Mitwirkung seines Richters Hoffmann-Riem gestutzt oder ganz gekippt. Der Hamburger Rechtsprofessor, seit Kurzem im Ruhestand, ist als führender Polizeirechtsexperte Deutschlands immer wieder für den Schutz der Bürgerrechte und gegen den Law-and-Order-Staat eingetreten. Doch seine Analyse der unheimlichen Bedrohung ist gar nicht so verschieden von der seines Gegenspielers Schäuble.
    Nach dem 11. September schrieb er: »Jetzt ist die prinzipielle Vorhersehbarkeit der Gefahr dahin und vor allem fehlen erfolgversprechende Mittel der Gegenwehr. Unsere Phantasie reicht nicht einmal, um uns Wirkungsvolles auch nur auszudenken. Auch kennen wir den möglichen Gegner nicht. Soweit er einen Namen erhält - Al Kaida oder Bin Laden - wirkt dies wie eine Beschwörung seiner Identität, aber ohne konkrete Anschaulichkeit. Gibt es Bin Laden noch real oder nur als virtuelle Inkarnation des Bösen? Schon die Gefahr als solche ist diffus, ihre

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