Der glücklose Therapeut - Roman
Symptome türmen sich wie Reifen in einer Autowerkstatt, schichten sich zu unordentlichen Stapeln. Selbst für das konzentrierte, wachsame Auge überwiegen die Ähnlichkeiten die Unterschiede. Und mit müden Augen sind sie noch schwerer zu erfassen – mit Augen, die erst vor kurzem etwas gesehen haben, das sie nicht hätten sehen dürfen; Augen, die sich zuletzt angewöhnt hatten, den Blick über Barry Longs Kopf hinweg durch die Jalousie zu einem Spalt Himmelsblau wandern zu lassen, das jenseits des Parkplatzes zwischen den Gebäuden aufblitzte, als käme von dort die Erlösung.
Meine erste und einzige Begegnung mit Schizophrenie hatte vor fünfzehn Jahren im Larsen P. Clark Mental Hospital stattgefunden. Meine damalige Vorgesetzte, Dr. Ruth Bailey-Holtz, war eine Frau mit angegrautem Haar, runder Brille und schmalen Hüften. Ihr Blick war gleichzeitig zurückgenommen und eindringlich, eine Kombination, die irgendwo anders unmöglich gewesen wäre, doch hier, in dieser Abteilung, geradezu zwingend erschien. Nach unserer Vorstellungsrunde durch die verschiedenen Abteilungen nahm sie mich beiseite und ermahnte mich mit strenger Stimme, mich innerlich zu wappnen, vielleicht weil sie zuvor mit einem Seitenblick festgestellt hatte, wie sich beim Anblick der mit Medikamenten zugedröhnten, sabbernden, hohläugigen Patienten, die ziellos durch die Flure streiften, den Kopf gegen die Wand schlugen oder in sich zusammengesunken in ihren Zimmern hockten, meine Kiefer verspannt hatten.
Am nächsten Tag fragte ich Bailey-Holtz im Anflug eines, wie ich fand, überraschenden Geistesblitzes, ob sie mir erlauben würde, einen Tag und eine Nacht als Patient in der geschlossenen Abteilung zu verbringen. Die geschlossene Abteilung flößte mir Angst ein, und ich wusste, dass man sich seinen Ängsten stellen musste. Außerdem versuchte ich, meine Vorgesetzte zu beeindrucken, denn in jenen Tagen sah ich mich noch als einen Mann, der eine große Zukunft vor sich hatte, als jemanden mit zahlreichen Talenten und Ideen. Ich war ehrgeizig und verfügte über die lässige Selbstsicherheit der Jugend. Zu meiner Überraschung stimmte sie zu, und zu ihrer eigenen Überraschung schien ihr die Idee zu gefallen. Es wurde so arrangiert, dass ich spätabends in die geschlossene Abteilung geschmuggelt wurde, wo man mir eine Zahnbürste und ein Bett gab. Am Morgen erwachte ich als einer der Patienten.
Noch bevor sich im Laufe des Morgens alle in dem schäbigen Aufenthaltsraum trafen, war den meisten Patienten in der Abteilung klar, dass etwas mit mir nicht stimmte. Manche kicherten, wenn ich an ihnen vorüberging. Andere zogen sich verwirrt zurück. Mittlerweile begann meine Gewissheit, nicht einer von ihnen zu sein, allmählich dahinzuschmelzen. Eingesperrt in das Labyrinth düster beleuchteter Flure, ohne die Abzeichen, die meine Identität, meine Freiheit und meinen Status bewiesen – die Oberschwester hatte am Abend zuvor meine Personalmarke, meine Brieftasche, meine Haus- und Autoschlüssel an sich genommen –, verblasste meine Identität zunehmend zu einer verschwommenen Idee in meinem Kopf. Gegen Mittag hatte sich in meiner Magengrube echte Angst eingenistet, und meine Gedanken wurden zerstörerisch: Was, wenn das Personal Schichtwechsel hat und jemand vergisst, einem anderen von mir zu erzählen? Dann geh hin und überzeuge einen der überlasteten Krankenpfleger, dass du eigentlich nicht krank, eigentlich nicht einer von denen bist.
Die Gefahren dieser speziellen Problematik waren, wie ich wusste, bereits in Rosenhans berühmter Studie dokumentiert, für die er einige seiner Studenten mit unklaren Beschwerde n – sie hörten Stimmen – in umliegende Krankenhäuser geschickt hatte. Sobald sie als schizophren diagnostiziert und in ein Krankenhaus aufgenommen waren, begannen die Studenten, wie zuvor von Rosenhan angewiesen, sich normal zu benehmen und ihre Entlassung zu fordern. Im Durchschnitt dauerte es drei Wochen, bis die Entlassung gewährt wurde. Sobald jemand als psychotisch abgestempelt ist, wird jede Geste aus dieser Sicht interpretiert, einschließlich der Zurückweisung des Stempels selbst.
Nach einem Tag und einer zweiten Nacht in der geschlossenen Abteilung fing ich an, Dinge zu sehen. Vor allem erkannte ich in aller Deutlichkeit, wie sehr Verwirrung, Hilflosigkeit und Vernachlässigung an ebendiesem Ort regierten, an den die Verwirrten, die Hilflosen und Vernachlässigten zur Heilung geschickt wurden. Zum ersten Mal kamen
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