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Der glücklose Therapeut - Roman

Der glücklose Therapeut - Roman

Titel: Der glücklose Therapeut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noam Shpancer
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Sie. «
    » Randi kam manchmal vorbei, um fernzusehen, herumzuhängen und Gras zu rauchen. Einmal habe ich ihn gefragt, ob er den Indianer auch sähe, und zuerst hat er nein gesagt, aber nach einer Weile sagte er, ja, er glaube, er sehe ihn auch, zumindest sagte er, er habe das Gefühl, etwas Merkwürdiges sei im Zimmer. Das ist lange her. Ich erinnere mich nicht besonders gut daran. «
    » Und heute, jetzt, glauben Sie immer noch, dass es den Indianer tatsächlich gab? Dass er auf dem Sessel saß, so wie ich hier auf diesem Sessel sitze? «
    » Ah … ich weiß es nicht. Manchmal … an manchen Tagen … gibt es Momente, in denen ich weiß, in denen ich verstehe, dass es ist, wie Sie sagen, dass es nicht real ist. Aber dann habe ich auch wieder Tage … Zeiten, in denen ich es nicht weiß … Er wohnte in meinem Zimmer. Er saß auf diesem Sessel. Ich habe ihn gesehen, so wie ich jetzt Sie sehe. Deshalb weiß ich es nicht. «
    » Hatte er eine Arbeit, eine Familie? Woher kam er? «
    » Ich weiß es nicht. Er saß immer auf diesem Sessel. «
    » Er wohnte bei Ihnen, sagen Sie, und Sie wussten nichts über ihn? «
    » Wissen Sie alles über die Leute, mit denen Sie zusammenwohnen? «
    Ich sagte nichts mehr.
    » Ich muss nach Hause « , sagte er plötzlich. » Mimi wird sich Sorgen machen. « Er begann, unruhig auf dem Sofa hin und her zu rutschen. » Ich kann nicht mehr länger hier im Raum bleiben. « Sein Atem wurde schwer, und er fing an, sich heftig am Ellbogen zu kratzen. » Ich muss nach Hause. « Seine Stimme zitterte. » Können wir jetzt bitte aufhören? Ich muss nach Hause. «
    » Die Tür ist offen. Sie sind hier nicht im Gefängnis « , sagte ich.
    Er stand auf und schlurfte zur Tür, öffnete sie und blieb dann eine Sekunde lang wie erstarrt stehen, als rekapituliere er in Gedanken das Chaos der letzten Stunden. Plötzlich beugte er sich zu mir und flüsterte: » Ich hoffe, Sie finden Ihr antikes Tamburin. «
    Er drehte sich um und ging hinaus, eine Nikotinwolke zurücklassend.
    Ich lehnte mich zurück und war für einen Augenblick zu verblüfft, um etwas zu sagen. Dann rollte eine Woge von Gefühlen über mich hinweg wie eine Hitzewelle. Verwundert begriff ich, dass mein Wunsch, seine Akte zu schließen, ihn loszuwerden – dieser Wunsch, der während all dieser Monate in mir rumort hatte, wenn Barry Long auf dem Sofa saß, sich mit klagender Stimme für seine Unzulänglichkeit entschuldigte und dabei mein Sprechzimmer verpestete –, dass dieser Wunsch sich nicht nur plötzlich in Luft aufgelöst hatte, sondern dass er von einem neuen, völlig anderen Wunsch ersetzt worden war: ihn zu behandeln, ihm zu helfen, ihn zu retten.
    Auf einmal konnte ich von Barry Long nicht mehr lassen.

17
    R ückblickend hatte es von Anfang an Zeichen gegeben, doch ich hatte sie übersehen. Vielleicht sah ich sie auch, verstand sie aber nicht; es gelang mir nicht, die einzelnen Puzzleteile zu einem Bild zusammenzusetzen. Doch Rückblicke anzustellen, ist eine trügerische Angewohnheit. Wer versucht, rückblickend sein Leben zu verstehen, wird feststellen, dass im Nachhinein alles offensichtlich, einfach und unvermeidlich erscheint. Außerdem wird er feststellen, dass das Leben vorwärtsblickend gelebt wird. Wir haben nicht ein Auge vorne und eins hinten. Wir blicken nach vorn, doch wir sollten besser nicht allzu weit vorausschauen wollen. Ein Fahrer kann zum Beispiel mit seinem Wagen rasch in Cleveland ankommen wollen – wenngleich unklar ist, was einen Fahrer dazu bewegen könnte, eilig nach Cleveland kommen zu wollen –, aber er wird nicht heil dort eintreffen, wenn er seinen Blick immerzu auf den Horizont gerichtet hält. Noch wird er Cleveland erreichen, wenn er immer nur sein Kühleremblem im Auge behält. Der richtige Blick liegt irgendwo dazwischen.
    Wie auch immer, rückblickend war mir klar, dass ich den Leoparden im Gebüsch erahnen und die Teile hätte zu einem Ganzen zusammensetzen müssen: der Nikotingeruch, der von seiner Kleidung ausging, die seltsame Umarmung des Kissens, die Verwirrtheit und die Weigerung zu sprechen, sein massives, nie nachlassendes Misstrauen, der in die Ferne gerichtete, starre Blick, der manchmal ohne äußeren Anlass zu zucken anfing, als folge er dem erratischen Flug einer Fliege. Ich hätte die Teile zu einem Ganzen zusammensetzen sollen. Doch eines liegt in der Natur meines merkwürdigen Berufs, der mit Erinnerungen und Lügen befasst ist: Er ist unpräzise. Die verschiedenen

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