Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der goldene Esel

Titel: Der goldene Esel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucius Apuleius
Vom Netzwerk:
so kühn emporstreben? Oben auf derselben strömen schwarze Fluten aus einer finsteren Quelle und stürzen sich tief in ein verschlossenes Tal hinunter, wo sie den stygischen Pfuhl anfrischen und das dumpfe Getöse des Kozytus unterhalten, da gehe hin und schöpfe mir mitten aus der Quelle innerstem Strudel diesen Krug voll!‹
    Mit diesen Worten reicht sie ihr, unter den entsetzlichsten Drohungen, ein glattes, kristallenes Gefäß.
    Psyche nimmt es und eilt mit beschleunigten Schritten davon, des Berges oberster Spitze zu. Dies, denkt sie, sei nun gewiß ihr letzter mühseliger Gang; auch nahete sie nur erst von ferne dem Gipfel, so zeigte sich ihr schon ganz deutlich unvermeidliche Todesgefahr bei Ausführung des ihr erteilten Befehls. Denn der Fels, der unermeßlich hoch in die Luft ragt und überall schroff und unzugänglich ist, speit nur erst auf der äußersten Höhe, aus weitgeöffnetem Schlunde das fürchterliche Gewässer aus, und sobald dieses aus der Tiefe hervorgebrochen, stürzt es jäh den Abhang schäumend hinunter in eine enge grundlose Felsenkluft und wälzt sich mit Ungestüm da hindurch zu dem benachbarten Tale hinab. Rechts und links lauern wilde Drachen in Höhlen. Sie drohen und zischen, ihre langen Hälse schrecklich emporreckend. Nimmer schließt der Schlaf ihre unermüdlichen Augenlider; darum sind sie hierher zu ewigen Wächtern gebannt, wiewohl schon die heulenden Wellen allein sich Schutzes genug wären. ›Hinweg von hier!‹ lautet immerfort ihr wechselseitiges Gebelle, ›nicht zu nahe, sieh Dich vor, was machst Du, nimm Dich in acht, fleuch! Hier bist Du verloren!‹
    Der Anblick all dieser unübersteiglichen Schwierigkeiten versteinert Psychen. Wie entseelt steht ihr Körper da; vor Übermaß des Schmerzes gebricht ihr auch der letzte Trost – Tränen.
    Aber die Not der unschuldig Leidenden war vor den Augen der allgütigen Vorsehung nicht verborgen. Denn siehe, es erscheint des hohen Jupiters königlicher Vogel, der starke Adler, hoch im Winde sich wiegend auf ausgespreiteten Schwingen. Eingedenk, daß ihm einst Kupido gefällig beistand, als er für den Zeus den phrygischen Mundschenken raubte, eilt er jetzt, aus Dankbarkeit, des Gottes Gattin in ihrer Bedrängnis zu helfen. Flugs verläßt er seine hohe Himmelsbahn, bleibt still vor Psychens Angesicht schweben und redet sie also an:
    ›O blödsinnige, unerfahrene Psyche! Wie kannst Du hoffen, dieser heiligen, furchtbaren Quelle auch nur einen Tropfen zu entwenden, ja nur, Dich ihr zu nahen? Hast Du nie gehört, daß sogar die Götter und Jupiter selbst dies stygische Gewässer scheuen und daß, wie Ihr bei ihrer Gottheit schwört, also sie bei der Majestät des Styx zu schwören pflegen? Aber gib her Deine Urne!‹
    Stracks nimmt er sie ihr aus den Händen, und im Nu war sie gefüllt. Denn dicht über dem Schlund hängt er sich, künstlich sich schwingend, und mit immer regem Fittich zu beiden Seiten der giftigen Drachen Biß und dreigespaltene Zunge meidend, schöpft er ein die widerstrebende, scheltende Flut, nachdem er sie mit vorgegebenem Befehl der Venus getäuscht.
    Mit Freuden empfängt Psyche den angefüllten Wasserkrug wieder zurück und überbringt ihn eiligst der Venus.
    Allein auch hierdurch wurde das rachsüchtige Herz der Göttin nicht gerührt. Vielmehr ergrimmte sie jetzt um desto ärger gegen die arme Psyche und trachtete nur eifrig nach ihrem Verderben.
    Mit schnödem Spotte hebt sie also zu ihr an: ›Ei, ich glaube gar, Du bist eine Zauberin! Mag Dir doch unsereins in der Welt nichts mehr aufgeben, was nicht bloß Kleinigkeit für Dich wäre! Indes, mein Kind, nur noch einen kleinen Dienst. Da nimm die Büchse, geh damit in die Unterwelt, bis zu des Orkus finsterer Burg hinunter und stelle sie da Proserpinen zu. Sag ihr dabei: Venus läßt Dich bitten, ihr doch so viel von Deiner Schönheit zu schicken, als sie auf einen Tag wohl bedarf. Die ihrige wäre bei der Wartung ihres kranken Sohnes zunichte gegangen. – Komm aber ja bald wieder zurück, denn ich will sie gleich noch auflegen, um damit in der Versammlung der Götter zu erscheinen.‹
    Nun erkannte Psyche mit Zuverlässigkeit der Göttin letzte grausame Absicht. Auch lag sie klar genug am Tage: der Befehl, zum Tartarus hinunterzuwandern und zu den Manen, ist überall nur eindeutig.
    Ungesäumt richtet sie jetzt ihren Weg nach einem sehr hohen Turme hin, sich von da herabzustürzen; denn kürzer und schöner, glaubt sie, könne sie zur Unterwelt nicht

Weitere Kostenlose Bücher