Der goldene Esel
meinem Tempel, Psyche! Du kannst hier weder Schutz noch Herberge finden und wirst es mir wohl selbst nicht verdenken.‹
Abgewiesen zu werden, hatte Psyche keineswegs erwartet; doppelte Traurigkeit beklemmt also ihr Herz.
Sie geht den gekommenen Weg wieder zurück. Beim Herabsteigen vom Berge erblickt sie unten im Tale in einem dämmernden Haine einen Tempel von künstlicher Bauart. Neue Hoffnung belebte sie. Welcher Gottheit auch dieser Tempel geweihet sei, sie will die Huld derselben anrufen.
Als sie der heiligen Pforte naht, sieht sie an den Ästen naher Bäume und an den Türpfosten viele reiche Geschenke aufgehängt, bei jedem ein Tuch, dessen Goldstickerei die erhaltene Wohltat und den Namen der Göttin des Ortes erzählt.
Nun wischt sie die Tränen von ihren Augen, kniet hin, umfaßt den noch lauen Altar mit beiden Händen und betet also:
›Schwester und Gattin des großen Jupiter! Du bewohnst nun den uralten Tempel von Samos, das Deiner Geburt, Deines ersten kindlichen Lautes und Deiner Erziehung sich rühmt, oder Du besuchst Deinen seligen Sitz im hohen Karthago, das Dich als Jungfrau im löwenbespannten Wagen himmelan fahrend verehrt, oder Du waltest an den Ufern des Inachus über die hochberühmten Mauern der Argiver, die Dich als Vermählte des Donnerers und der Göttinnen Königin anrufen! Du, die der ganze Aufgang als Vorsteherin der Ehe und der ganze Niedergang als Geburtsgöttin anbetet: O hilfreiche Juno: verlaß mich in meinem Drangsale nicht! Ich erliege unter der Last meines Elendes, stehe mir bei, entferne von mir die drohende Gefahr! Ich vertraue Dir, o Göttin; Deine Hilfe entgeht ja niemals notleidenden Schwangeren!‹
Kaum hat sie ausgebetet, so steht Juno in aller Majestät ihrer Gottheit vor ihr.
›Wie gern, o Psyche,‹ so sagt sie, ›gewährte ich Dein Gebet! Allein Venus ist meines Sohnes Weib, und ich habe sie von jeher wie mein eigenes Kind geliebt, ich müßte mich schämen, wollte ich mich Deiner, ihrer Feindin, gegen sie annehmen.‹
Psyche, abermals in der Hoffnung, Schutz und ihren Gemahl zu finden, getäuscht, verzagt nun ganz und gar. Lauter Unglück ahnend, spricht sie also bei sich selbst:
›Umsonst, umsonst! Für mich ist keine Rettung mehr! Der Göttinnen bester Wille selbst ist ja für mich ohnmächtig! Was fliehe ich noch? bin ich nicht überall mit Garnen umstellt wie ein gefangenes Reh? Und welches Dach, welche Finsternis mag mich vor dem allschauenden Auge der großen Venus verbergen? Auf denn, Psyche, ermanne Dich! Hinweg mit der eitlen Hoffnung! Geh, liefere der Göttin Dich freiwillig in die Hände. Unterwürfigkeit mag sie vielleicht allein noch erweichen, mag ihren Zorn mildern! Und ach, wer weiß? Triffst Du nicht gar den bei seiner Mutter an, den Du schon so lange allenthalben vergebens gesucht hast?‹
So war Psyche nun völlig zur mißlichen Demütigung vor Venus, ja selbst zum gewissen Verderben bereit. Sie sann nur noch auf den Anfang ihrer bittenden Rede, den ersten Ausbruch des Zornes der Göttin doch wenigstens zu schwächen, wenn sie ihn nicht ganz vermeiden könnte.
Mittlerweile war Venus müde, auf der Erde nach Psychen herumzuziehen. Sie erhebt sich gen Himmel. Schon läßt sie sich den Wagen rüsten, welchen Vulkan ihr zum Hochzeitsgeschenke gemacht hatte. Sauber und künstlich hatte ihn der Gott selber verfertigt. Er strahlte von Glanze. Was die nagende Feile ihm an Golde geraubt, hatte seine Kostbarkeit nur umsomehr erhöht.
Alsbald flattern vier von den weißen Täubchen herzu, welche in unzähliger Menge um die Wohnung der Göttin nisten. Sie wenden girrend ihre farbewechselnden Hälse, streifen das von Edelgestein blitzende Joch über, nehmen ihre Gebieterin ein und fliegen fröhlich mit ihr empor. Mit lautem Gezwitscher umgaukelt den Wagen ein Heer buhlerischer Spatzen, andere kleine liebliche Sänger schweben vorauf, in süßen Weisen der Göttin Ankunft verkündigend, sonder Furcht insgesamt vor den begegnenden Adlern oder den räuberischen Habichten.
Die Wolken schwinden, es öffnet sich der Himmel vor seiner Tochter; mit Freuden empfängt der hohe Äther die Göttin.
Sie begibt sich sogleich zu Jupiters königlicher Burg. Mit stolzer Bitte fordert sie als notwendige Hilfe den Merkur zum Herold. Sie bedürfe seiner höchst notwendig. Zeus winkt ihr von den hohen schwarzen Augenbrauen Gewährung ihrer Bitte zu.
Frohlockend steigt sie nun augenblicklich in Begleitung Merkurs vom Himmel herab und eröffnet ihm unterwegs ihr
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