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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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mit Schinken und Eiern beladenen Schlachthofarbeiter mit seinem glatt rasierten Kopf. Dieses Exemplar hat seine Masse, aber nicht sein Gewicht, und sein Alter liegt irgendwo zwischen dreißig und fünfzig.
    »Hallo? Könnten wir vielleicht kurz mit Ihnen sprechen?«
    Ja, »wir«, denn tatsächlich gibt es zwei von ihnen, der eine dick, der andere dünn – verborgen hinter seinem gewaltigen Begleiter, hält Letzterer sich penibel im Kielwasser des Wales.
    Es ist der Dicke, der ihn ruft und dann gleich wieder nach Luft schnappt, während er die Quoyle Street hinaufgestürmt kommt. Joe hält inne und hofft, dass ihm ein kardiales Drama oder ein Zusammenstoß erspart bleiben, und auf merkwürdige Weise kommen beide Männer zur gleichen Zeit bei ihm an. Der Dünne übernimmt das Reden. Er ist älter, grauer, gemäßigter und salbungsvoller.
    »Mein lieber Mr Spork. Können wir nicht vielleicht hineingehen? Wir vertreten – nicht wir allein, selbstverständlich – das Loganfield Museum of Mechanichal History in Edinburgh und Chicago.« Er spricht jedoch nicht in einem schottischen Singsang, sondern in reiner englischer Diktion mit einem Hauch von Entschuldigungston. Seine Sätze klettern am Ende auch nicht im modernen amerikanischen Stil in die Höhe, sondern kommen mit strengen, abfallenden Punkten zum Schluss. »Es ist eine gewissermaßen delikate Angelegenheit, fürchte ich.«
    Delikat. Joe hat nichts übrig fürs Delikate. Oh, bei kostbaren Uhren und Mechanismen durchaus, aber im wahren Leben bedeutet es zumeist Gericht und Geld und Komplikationen. Manchmal bedeutet es auch, dass neue Schulden oder eine weitere Missetat seines Vaters ans Tageslicht gekommen sind und er zu hören bekommt, wie Mathew jemanden um seine Ersparnisse gebracht oder einen unbezahlbaren Edelstein erbeutet hat, woraufhin er erklären muss, dass – nein – der Schatz des Mathew Spork von ihm nicht ausgezahlt werden kann und sein väterliches Erbteil aus nichts anderem besteht als einem leeren Lederkoffer und einem Haufen von Zeitungsausschnitten, die von Mathews Freveltaten handeln, für die er meistens nicht verurteilt wurde. Mathews Geld ist weg, und niemand weiß, wo es ist, nicht einmal seine Frau, nicht sein Sohn und seine Gläubiger auch nicht. In diesem Fall jedoch scheint sich die Angelegenheit um Joe persönlich zu drehen.
    Und schließlich gibt es einen Menschen in Joe Sporks kleinem Freundeskreis, der ein besonderes Talent dafür aufweist, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.
    Billy, du kahlköpfiger Blödmann, wo hast du mich jetzt reingeritten? Korn und Kummer, ich weiß.
    Korn und Kummer: der Bittruf des Nachtmarkts, wenn es wirklich hart auf hart kommt, wenn es um Untergang und Katastrophen geht. Er verspürt den Drang davonzulaufen.
    Stattdessen sagt er: »Kommen Sie doch bitte herein.« Es ist nämlich seine tiefe Überzeugung, dass England ein gerechtes Land ist, und nach seiner Erfahrung können durch ein wenig Kooperationsbereitschaft und Höflichkeit, selbst wenn das Gesetz gebeugt oder sogar verletzt wurde, auch schlimme Scharten ausgewetzt werden.
    Der Dicke betritt als Erster den Laden, der Dünne danach, und Joe bildet die Nachhut, um zu demonstrieren, dass er nicht davonläuft, dass sie, ganz im Gegenteil, seinen Unterschlupf betreten, weil er sie hereinbittet. Er bietet ihnen Tee und bequeme Stühle an, was sie bedauernd ablehnen. Also macht er für sich allein Tee, bis der Dünne sagt, er wolle vielleicht nun doch ein Tässchen, und zu einer Makrone greift. Der Dicke trinkt Wasser, und zwar jede Menge. Als sich alle erfrischt haben und Joe ihnen die interessanteren Stücke in seiner Werkstatt gezeigt hat (den halb zusammengebauten Schach spielenden Roboter, den er für einen Kunden im Stil des berüchtigten Schachtürken anfertigt, die aufziehbaren Rennpferde, die Standuhren aus Edinburgh), legt der dünne Gentleman seine Handflächen aneinander, als wolle er sagen, es sei nun Zeit zu beginnen.
    »Ich bin Mr Titwhistle«, sagt er, »und dies ist Mr Cummerbund. Es sind unsere echten Namen, fürchte ich. Das Leben kann kapriziös sein. Sollten Sie irgendwann das Bedürfnis verspüren zu kichern, so sind wir beide Manns genug, den Spaß zu verstehen.« Er zeigt ein demonstratives kleines Lächeln, wie um zu beweisen, dass er tatsächlich lächeln kann. Mr Cummerbund tätschelt sich den Bauch, als wolle er sagen, er sei Manns genug nicht nur für diesen, sondern auch noch für jede Menge anderer Witze.
    Joe Spork

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