Der goldene Schwarm - Roman
Banken und einigen Gläubigern befindet. Mathew – dies war der Name seines beklagenswerten Vaters – hatte eine entspannte Haltung gegenüber Schulden an den Tag gelegt; Nachschub an Geld konnte man sich schließlich stets auf räuberische Weise beschaffen.
Apropos Schulden: Manchmal – wenn Joe über die Höhen und Tiefen seines Lebens als Erbe des Verbrechens nachgrübelt – fragt er sich, ob Mathew je einen Menschen umgebracht hat. Oder – ja, warum nicht? – womöglich eine Vielzahl von Menschen. Gangster neigen schließlich dazu, sich auf recht blutige Weise miteinander zu streiten, und das Ergebnis dieser Diskussionen sind oft Leichen, die wie nasse Laken über Barhockern oder Autolenkrädern hängen. Gibt es irgendwo einen geheimen Friedhof oder eine Schweinefarm, auf der die Opfer der unbeschwerten Amoralität seines Vaters ihrer letzten Ruhe überlassen sind? Und wenn ja, welche Haftbarkeit erbt sein Sohn in dieser Angelegenheit?
Im Hier und Jetzt wird das Erdgeschoss von Joes Werkstatt und dem Laden eingenommen. Der Ladenraum ist hoch und geheimnisvoll, gefüllt mit Gegenständen unter Staublaken und anderen, die, um dem Holzwurm die Stirn zu bieten, in dickes schwarzes Plastik verpackt und in der äußersten Ecke an die Wand geschoben wurden. Zurzeit handelt es sich bei diesen Objekten hauptsächlich um ein paar Holzböcke oder Bänke, die so aufgestellt wurden, dass sie vielversprechend aussehen, wenn Kunden vorbeikommen. Es gibt jedoch auch noch ein paar Originale – Chronometer, Spieluhren und das Beste: handgefertigte mechanische Automaten, bemalt, geschnitzt und gegossen zu einer Zeit, als ein Computer noch ein Mann war, der zählen konnte, ohne seine Finger zu Hilfe nehmen zu müssen.
Hier drinnen lässt es sich unmöglich ignorieren, wo sich das Lagerhaus befindet. Der Geruch des alten London dringt flüsternd durch die feuchten Regale des Ladenraums und trägt Spuren des Flusses mit sich, doch dank geschickter Baukonstruktion und alterndem Holz ist er nie unangenehm. Das Licht aus den Fensterschlitzen, die hoch über dem Fußboden zur Sicherheit mit Drahtglasscheiben versehen sind, fällt in diesem Augenblick auf nicht weniger als fünf Standuhren aus Edinburgh, zwei Pianolas und ein bemerkenswertes Objekt, bei dem es sich entweder um ein mechanisches Schaukelpferd handelt oder um etwas noch weitaus Gewagteres, für das Joe wohl recht freizügige Kundschaft finden muss. Diese Glanzstücke sind von weniger bedeutsamen Allerweltsartikeln umgeben: Handkurbeltelefone, Grammophone und Kuriositäten. Und dort, auf einem Sockel, steht die Todesuhr.
Sie ist eigentlich nur ein Stück viktorianischer Plunder. Ein schauerliches Skelett in einer Kutte steuert seinen Streitwagen von rechts nach links, sodass es für den Betrachter, der es gewohnt ist, von links nach rechts zu lesen, so aussehen muss, als käme der Wagen direkt auf ihn zu. Die Gestalt hat ihre Sense bequem über den Rücken gelegt, um problemlos ihrem Schnitterhandwerk nachgehen zu können, und ein dürres Ross mit bösem Gesichtsausdruck zieht das Gefährt voran, immer voran. Das nach vorn zeigende Rad bildet eine schwarze Uhr mit schlanken Knochenzeigern. Sie schlägt keine Stunden; die Botschaft soll womöglich sein, dass die Zeit zwar lautlos vergeht, aber doch vergeht. Joes Großvater wies in seinem Testament seinen Erben an, sich mit »besonderer Sorgfalt« um die Todesuhr zu kümmern. Der Mechanismus ist sehr raffiniert, angetrieben von Luftdruckschwankungen; aber als kleiner Junge hat Joe eine furchtbare Angst vor ihr gehabt, und auch als junger Mann hat er mit ihrem unabänderlichen, morbiden Versprechen nichts zu tun haben wollen. Selbst heute, da die dreißig nur noch in seinem Rückspiegel sichtbar ist und ihm von der nächsten Straßenecke aus bereits die vierzig düster entgegenblickt; nun, da seine Haut von den Lötverbrennungen und den Schnitten und Schürfungen ein wenig langsamer heilt als früher und sein Bauch weniger Waschbrett ist als eine gemütliche, wenn auch solide Bank, vermeidet es Joe, sie anzusehen.
Die Todesuhr bewacht zudem sein einziges beschämendes Geheimnis, ein unbedeutendes Zugeständnis an die Vergangenheit und die finanziellen Zwänge des Lebens. In den tiefsten Schatten des Lagerhauses, vor dem undichten Teil der Wand und bedeckt von schäbigen Staublaken, stehen sechs alte Spielautomaten – echte einarmige Banditen –, die er für einen alten Bekannten namens Jorge aufarbeitet. Jorge
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