Der Graf von Castelfino
Gartenbaugesellschaft aufbauen zu müssen, hätte sie normalerweise abgeschreckt. Nun aber lenkte sie sich damit ab. Wohin sie auch blickte, sah sie Familien. Eigentlich hätte sie sich darüber freuen sollen. Stattdessen wurde ihr das Herz nur schwerer.
Die perfekte Familie – Mutter, Vater, Kind – würde ihr niemals vergönnt sein. Für einen anderen Mann als Gianni war kein Platz in ihrem Herzen. Die gesamte Verantwortung der Kindererziehung würde bei ihr liegen, und in jeder Minute würde das Gesicht des kleinen Würmchens sie an den Mann erinnern, den sie verlassen hatte.
Frühzeitig traf Meg in der großen Halle ein, wo die Ausstellung stattfinden sollte. All ihre Gedanken waren zwar ständig bei Gianni, doch die Arbeit musste erledigt werden. Ihre Orchideen waren schlichtweg perfekt, was bedeutete, dass sie kein Risiko eingehen durfte. Die ganze Nacht über hatte sie jede Blüte in Glaswolle gebettet und jeden Stängel gesichert. Nun musste die Verpackung wieder entfernt und entsorgt werden. Es war eine Tüftelei, doch Meg kannte sich aus.
Ihre Finger flogen nur so, und bald hatte jeder Topf seinen Platz gefunden. Es dauerte nicht lange, da hatte sich der Präsentationstisch in einen Miniatur-Regenwald verwandelt. Sie gratulierte sich gerade selbst dazu, wie viel Zeit ihr noch bis zur Eröffnung blieb, da fiel ein dunkler Schatten auf sie.
Ihr siebter Sinn sagte ihr sofort, dass es Gianni sein musste.
Sie hatte recht. Abrupt wirbelte sie herum und blickte in das Gesicht, nach dem sie sich so lange gesehnt hatte, das sie berühren und küssen wollte.
Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf, doch ein Umstand hielt sie davon ab, sich zum Narren zu machen. Gianni war nicht allein. Er wurde von einem Mann in einem dunklen Mantel und einem Teenager mit einer teuer aussehenden Digitalkamera begleitet.
„Buon giorno, Megan. Ich bin mit diesen beiden Journalisten hier. Sie haben einen Beitrag zu einer Sonntagssendung über unser gemeinsames Projekt auf Castelfino gemacht …“
„ Dein Projekt“, widersprach sie.
Die Männer feixten. Gianni ignorierte sie und durchbohrte Megan mit einem scharfen Blick. Dann räusperte er sich bedeutungsvoll.
„Ich war zufällig auf einer Tagung hier in England und habe mir das Textmaterial zu dem Artikel angeschaut. Das war auch gut so, denn ich will nicht nur die halbe Geschichte erzählt wissen, schon gar nicht, wenn es um das lukrative Weihnachtsgeschäft geht. Was sie noch brauchen, ist deine Mitwirkung und ein paar Fotos. Ich habe es ihnen durch meinen Einfluss ermöglicht, noch vor Eröffnung der Messe hier hereinzukommen“, erzählte er und kam damit ihrer Frage zuvor, warum er sie denn überhaupt begleitete.
„Ich weiß nicht recht“, meinte Meg zögernd. Es war offensichtlich, dass Gianni seine Zeit in London lieber anders verbracht hätte. Meg widerstand dem Drang, sich in seine Arme zu werfen und ihn um Vergebung zu bitten. Stattdessen versuchte sie, sich in seine Lage zu versetzen. Trotz der Art, wie sie ihn behandelt hatte, verhielt er sich korrekt. Nun stand sie in seiner Schuld und fügte sich.
Meg lächelte charmant und beantwortete alle Fragen. Absichtlich vermied sie jeden Bezug auf ihre ausgezeichnete Qualifikation und war verlegen, als der Reporter darauf zu sprechen kam. Mit einem raschen Seitenblick auf Gianni überging sie die Frage. Er wollte bestimmt nicht an ihre Bemerkungen in der Vergangenheit erinnert werden. Der Fotograf tanzte eifrig um sie herum, und so dauerte die ganze schreckliche Angelegenheit nicht allzu lange.
Nachdem die Besucher sich entfernt hatten, entluden sich Megs aufgestaute Gefühle in einem lauten Seufzer. Trotz des Lärms und des Gewühls um ihn herum hörte Gianni diesen gequälten Laut. Sofort hielt er inne und entließ die Journalisten. Rasch lenkte er seinen Schritt zurück zu Megs Stand.
„Was ist los mit dir?“
Nachdem seine Begleiter die Halle verlassen hatten, erwartete sie, dass er sie anlächeln würde. Er hatte bei der Frage nach ihrem Befinden immer gelächelt.
Nur heute nicht.
Nervös schluckte sie. „Es ist nichts. Mir geht es gut. Dieses Interview kam nur etwas überraschend, das ist alles. Ich bin einfach an solche spontanen Anforderungen nicht gewöhnt und war ziemlich aufgeregt.“
„Deshalb bin ich ja dabeigeblieben. Nur für den Fall, dass du moralische Unterstützung brauchst“, bemerkte er knapp.
Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, ihm zu erzählen, was los war.
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