Julius Eichendorff 02 - Nomen est Omen - Eifel Krimi
I
»Wer in Gottes Namen?«
»Jetzt beruhigen Sie sich erst mal und erzählen alles ganz langsam von Anfang an!«
Aber Julius Eichendorff beruhigte sich nicht. Er rutschte auf dem Polstersitz des Einsatzwagens herum, als wäre er eine heiße Herdplatte. Ihm gegenüber, an einem Styroporbecher mit dampfendem Kaffee nippend, saß Frau von Reuschenberg. Die Kommissarin sah ihn aufmunternd an. »Wir haben Zeit. Das Schlimmste, was passieren könnte, ist, dass wir beide erfrieren. Aber da es nur knapp unter null ist, dürfte das dauern.«
Julius kam die rettende Idee. Er hatte doch … irgendwo mussten … sie waren doch immer … ja! In seiner ledernen Kameratasche fand er zwei in Alufolie eingepackte Kugeln. Die Notfallpralinen! Wenn nichts mehr ging, half Schokolade. Je süßer, desto schneller wirkten sie, je cremiger, desto erquickender. Er rollte einen dunklen Trüffel mit klammen Fingern aus und steckte ihn sich hastig in den Mund. Es dauerte etwas, bis die Praline die richtige Temperatur hatte und zu schmelzen begann. Sie kleidete angenehm nussig den Mund aus, bis Julius die Gianduja-Füllung erreichte und zubiss. Wohligkeit breitete sich in seinem unterkühlten Körper aus, trieb den Schock und die Anspannung aus den kalten Gliedern.
»Möchten Sie auch eine?«
»Ich bleib lieber bei meinem Kaffee.«
Julius zuckte mit den Schultern und verstaute die zweite Praline wieder in der kleinen Tasche.
»Fühlen Sie sich jetzt besser?«, fragte von Reuschenberg. Ihre Lachfältchen waren zu sehen.
»Das war genau, was ich gebraucht habe.«
Sie hatten sich vor knapp einem Jahr kennen gelernt, als ein Mörder, genannt die »Rote Bestie«, durchs Ahrtal wütete. Julius und die Kommissarin hatten ihre Probleme miteinander gehabt, aber am Ende hatten sie sich zusammengerauft. Vielleicht sogar ein wenig mehr. Und das war gut gewesen, sonst wäre wahrscheinlich noch mehr Blut geflossen.
»Legen Sie los. Das Band läuft.«
Julius genoss die letzten Reste der schokoladigen Creme, bevor er den Mund wieder zum Sprechen benutzte.
»Ich hätte ahnen müssen, dass so was passiert. Der Tag fing schon schlecht an.« Er schüttelte den dezent behaarten Kopf. »Als ich ins Wohnzimmer kam, hab ich gesehen, dass der Anrufbeantworter blinkte. Vier Anrufe. Und was war? Aufgelegt! Viermal. So was bringt mich zur Weißglut.«
»Sie haben’s wirklich schwer. Erst viermal aufgelegt und dann ein Mord.« Von Reuschenberg versteckte ihr Gesicht hinter dem Kaffeebecher, aber Julius konnte erahnen, dass sie dahinter feixte. »Wie ging’s nach diesem Schreck weiter? Bei der Führung?«
»Dafür musste die Kamera eingepackt werden, die Einladung und der Personalausweis. Ist schließlich ein streng gesicherter Wehrbereich. Fehlte nur noch ein polizeiliches Führungszeugnis.«
»Dafür gab’s bestimmt Gesichtskontrolle.« Von Reuschenberg schaute ihn fordernd an.
Julius war nicht zum Scherzen zumute. Das Geschehen im Regierungsbunker war dem Koch und Besitzer des Renommier-Restaurants »Zur Alten Eiche« auf den Magen geschlagen. Und der war eines seiner professionellsten Körperteile.
»Irgendwie lag eine merkwürdige Stimmung in der Luft. Es war, als wenn alle versuchten, sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen. Dabei sind sie Vereinskameraden im Golfclub. Ich durfte ja nur mit, weil eine ehemalige Auszubildende von mir im Vereinsrestaurant arbeitet. Als ich von dem Ausflug hörte, wollte ich ihn mir natürlich nicht entgehen lassen. Eine der letzten Führungen durch den Regierungsbunker, bevor er endgültig dicht gemacht wird! Ich konnte ja nicht ahnen …«
»Sie konnten ja nicht ahnen, dass Sie wieder zu einer schlechten Angewohnheit zurückkehren …«
Julius schaute sie verdutzt an. Ihr steter Atem kondensierte sofort, und er nahm den bitteren Geruch von Kaffee deutlich wahr.
»Ich meine Ihre schlechte Angewohnheit, Leichen zu entdecken.«
Eine Angewohnheit, dachte Julius, auf die er liebend gern verzichtet hätte. »Die dritte in meiner Sammlung.«
»Hoffen wir, dass es dabei bleibt. Erzählen Sie weiter, mein Kaffee ist nämlich gleich alle.«
Julius sah durch das mit Eisblumen übersäte Fenster, wie der Leichenbestatter einen schwarzen Plastiksack in den Kombi schob.
»Alle hielten Abstand voneinander, als grassiere die Pest. Das wurde körperlich spürbar, als wir die Anlage betraten. Denn die Gänge bieten nicht viel Platz, um sich aus dem Weg zu gehen. Kaum einer redete mit dem anderen. Das hatte den Vorteil, dass ich
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