Der Graf von Monte Christo 2
deine Schuld, lieber Ali«, sagte der Graf auf arabisch mit einer Milde, die man seiner Stimme und seinem Gesicht nicht zugetraut hätte; »du verstehst dich nicht auf englische Pferde.«
Auf Alis Züge kehrte die Heiterkeit zurück.
»Herr Graf«, sagte Bertuccio, »die Pferde, von denen Sie sprechen, waren nicht zu verkaufen.«
Monte Christo zuckte die Schultern.
»Merken Sie sich, Herr Verwalter, daß alles zu verkaufen ist, wenn man den richtigen Preis bietet.«
»Herr Danglars hat sie mit sechzehntausend Franken bezahlt, Herr Graf.«
»Gut, so hätten ihm zweiunddreißigtausend geboten werden müssen; er ist Bankier, und ein Bankier läßt sich nie eine Gelegenheit entgehen, sein Kapital zu verdoppeln.«
»Sprechen der Herr Graf im Ernst?« fragte Bertuccio.
Monte Christo sah den Verwalter erstaunt an.
»Heute abend«, sagte er, »habe ich einen Besuch zu machen; ich will, daß diese beiden Pferde mit neuem Geschirr sich vor meinem Wagen befi nden.«
Bertuccio zog sich mit einer Verneigung zurück; an der Tür blieb er stehen.
»Um welche Zeit gedenken Eure Exzellenz diesen Besuch zu machen?« fragte er.
»Um fünf«, antwortete Monte Christo.
»Ich bemerke Eurer Exzellenz, daß es zwei Uhr ist«, wagte der Verwalter zu sagen.
»Ich weiß es«, antwortete Monte Christo, dann wandte er sich an Ali: »Laß Madame alle Pferde vorführen; sie kann sich das Gespann auswählen, das ihr am besten gefällt; ferner bitte ich sie, mir sagen zu lassen, ob sie mit mir speisen will; in diesem Fall ist bei ihr zu servieren; geh; wenn du hinuntergehst, schicke mir den Kammerdiener!«
Ali war kaum verschwunden, da trat der Kammerdiener ein.
»Herr Baptistin«, sagte der Graf, »Sie sind seit einem Jahr in meinem Dienst; das ist die Probezeit, die ich gewöhnlich meinen Leuten auferlege: Sie sagen mir zu.«
Baptistin verneigte sich.
»Nun ist noch die Frage, ob ich Ihnen zusage.«
»Oh, Herr Graf!« beeilte sich Baptistin zu antworten.
»Hören Sie mich bis zu Ende an«, fuhr der Graf fort. »Sie verdienen jährlich fünfzehnhundert Franken, das ist das Gehalt eines Offi ziers, der alle Tage sein Leben aufs Spiel setzt; Sie haben einen Tisch, wie ihn viele Bureauchefs, die unendlich mehr zu tun haben, sich wünschen würden. Als Diener haben Sie selbst Dienstboten, die Ihnen Ihre Wäsche und Ihre Sachen besorgen. Außer Ihren fünfzehnhundert Franken Lohn stehlen Sie mir bei den Einkäufen für meine Toilette jährlich weitere fünfzehnhundert Franken.«
»O Exzellenz!«
»Ich beklage mich nicht, Herr Baptistin, es ist billig; doch wünsche ich, daß es dabei bleibt. Sie würden also nirgends einen so guten Posten wiederfi nden. Ich schlage meine Leute nie, fl uche nie, gerate nie in Zorn, verzeihe immer einen Irrtum, nie eine Nachlässigkeit oder eine Vergeßlichkeit. Meine Befehle sind gewöhnlich kurz, aber klar und deutlich; ich wiederhole sie lieber zwei-, ja dreimal, als daß ich sie falsch ausgeführt sehe. Ich bin reich genug, um alles zu erfahren, was ich wissen will, und ich bin sehr neugierig, das sage ich Ihnen. Wenn ich also erführe, daß Sie im Guten oder Bösen von mir gesprochen, über mein Tun Bemerkungen gemacht, mein Betragen überwacht hätten, so verließen Sie im selben Augenblick das Haus. Ich warne meine Dienstboten nur einmal; Sie sind hiermit gewarnt, gehen Sie!«
Baptistin verneigte sich und machte einige Schritte, um sich zu-rückzuziehen.
»Noch eins«, fuhr der Graf fort, »ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, daß ich jedem meiner Dienstboten jährlich eine gewisse Summe aussetze. Diejenigen, die ich fortschicke, verlieren natürlich dieses Geld, das denen, die bleiben, zugute kommt und nach meinem Tode zufällt. Sie sind jetzt ein Jahr bei mir, der Grundstein zu Ihrem Vermögen ist also gelegt, sorgen Sie dafür, daß es wächst.«
Diese Anrede in Gegenwart Alis, der, da er kein Wort Französisch verstand, gleichgültig blieb, machte auf Baptistin einen Eindruck, den diejenigen verstehen werden, die die Bedientennatur einiger-maßen studiert haben.
»Ich werde mich bemühen, mich in jeder Beziehung nach den Wünschen Eurer Exzellenz zu richten«, sagte er; »übrigens werde ich mir Herrn Ali zum Muster nehmen.«
»Oh, das lassen Sie«, entgegnete der Graf kühl. »Ali hat bei seinen guten Eigenschaften viele Fehler, nehmen Sie sich ihn also nicht zum Muster, denn er ist eine Ausnahme; er bekommt keinen Lohn, er ist kein Diener, sondern mein Sklave, mein Hund; wenn er
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