Der Graf von Monte Christo
reden, so werden Sie mir vielleicht nicht nur das wiederholen, was ich weiß, sondern auch vieles sagen, was ich nicht weiß.
Es scheint mir aber, entgegnete der Graf lächelnd, Sie haben bei dieser ganzen Angelegenheit eine genügend wichtige Rolle gespielt, um ebensogut wie ich zu wissen, was vorgefallen ist.
Wollen Sie mir versprechen, wenn ich alles sage, was ich weiß, mir Ihrerseits zu sagen, was ich nicht weiß?
Das ist nur billig, antwortete Monte Christo.
Gut, sagte Morcerf, und sollte es auch auf Kosten meiner Eitelkeit gehen. Ich hielt mich drei Tage lang für den Gegenstand der Liebesblicke einer Maske, die mir als neue Julia oder Poppäa erschien, während ich doch in Wahrheit von einer Bäuerin geködert wurde. Ich weiß nur, daß ich Dummkopf einen jungen Banditen von fünfzehn bis sechzehn Jahren mit bartlosem Kinn und von schlankem Wuchse für diese Bäuerin hielt, der im Augenblick, wo ich mir die Freiheit nehmen wollte, einen Kuß auf seine keusche Schulter zu drücken, mir die Pistole vor die Brust setzte und mich mit Hilfe von sieben oder acht Gefährten in die Katakomben von Sebastiano führte oder vielmehr schleppte. Hier fand ich einen wissenschaftlich gebildeten Banditenanführer, der Cäsars Kommentar las und sich nur bewogen fühlte, seine Lektüre zu unterbrechen, um mir zu sagen, daß ich, wenn ich am andern Morgen um sechs Uhr nicht viertausend Taler in seine Kasse entrichtet hätte, um Viertel auf sieben Uhr zu leben aufhören würde. Der Brief ist noch in Franzens Händen, von mir unterzeichnet und mit einer Nachschrift von Luigi Vampa versehen. Zweifeln Sie an meinen Worten, so schreibe ich an Franz und lasse die Echtheit der Unterschriften bescheinigen. Das ist alles, was ich weiß. Was ich aber nicht weiß, ist der Umstand, wie es Ihnen gelungen ist, den Banditen so große Achtung einzuflößen. Ich gestehe Ihnen, daß Franz und ich von Bewunderung erfüllt waren.
Nichts ist einfacher, antwortete der Graf; ich kannte den berüchtigten Vampa seit mehr als zehn Jahren. Als er noch ganz jung und Hirte war, gab er mir eines Tages dafür, daß ich ihm irgend eine Goldmünze schenkte, weil er mir den Weg gezeigt hatte, einen von ihm selbst geschnitzten Dolch, den Sie wohl in meiner Waffensammlung gesehen haben. Später, ... hatte er nun dieses Vorkommnis vergessen, oder hatte er mich nicht erkannt ... wollte er mich einmal festnehmen; es gelang mir aber im Gegenteil, ihn mit einem Dutzend seiner Leute gefangen zu nehmen. Ich konnte Vampa der römischen Justiz ausliefern, die ziemlich rasch zu Werke geht und in seinem Fall sich noch mehr als gewöhnlich beeilt haben würde, aber ich tat es nicht; ich entließ ihn und die Seinigen.
Unter der Bedingung, daß sie nicht mehr sündigen würden, sagte der Journalist lachend. Ich sehe mit Vergnügen, daß sie ihr Wort gewissenhaft gehalten haben.
Nein, entgegnete Monte Christo, unter der einzigen Bedingung, daß sie mir und den Meinen Achtung erweisen. Was ich Ihnen sage, kommt Ihnen vielleicht seltsam vor, meine Herren Sozialisten, Progressisten, Humanisten, aber ich kümmere mich nie um meinen Nächsten, ich suche nie die Gesellschaft zu beschützen, die mich nicht beschützt und sich, ich darf es wohl behaupten, im allgemeinen nur mit mir beschäftigt, um mir zu schaden, und indem ich sie gering achte und ihnen gegenüber Neutralität beobachte, sind mir die Gesellschaft und mein Nächster das gleiche schuldig.
Das gefällt mir! rief Chateau-Renaud; das ist der erste Mensch, den ich ehrlich und geradeheraus die Selbstsucht predigen höre. Sehr schön, bravo, Herr Graf!
Es ist wenigstens offenherzig, bemerkte Morel; doch ich bin überzeugt, der Herr Graf bereut es nicht, daß er einmal von den Grundsätzen abgegangen ist, die er soeben so unbedingt gegen uns ausgesprochen hat.
Wieso bin ich von diesen Grundsätzen abgegangen? fragte Monte Christo, der von Zeit zu Zeit Maximilian unwillkürlich so aufmerksam anschaute, daß der kühne junge Mann schon ein paarmal die Augen vor dem klaren, durchsichtigen Blicke des Grafen niedergeschlagen hatte.
Mir scheint, antwortete Morel, indem Sie Herrn von Morcerf, der Ihnen unbekannt war, befreiten, dienten Sie Ihrem Nächsten und der Gesellschaft.
Deren schönste Zierde er bildet, sagte Beauchamp ernst und leerte mit einem Zuge ein volles Glas Champagner.
Herr Graf, rief Morcerf, Sie sind gefangen, Sie, einer der schärfsten Logiker, die ich kenne, und Sie werden sehen, man beweist Ihnen
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