Der Graf von Monte Christo
sogleich, daß Sie kein Egoist, sondern ein Philanthrop sind. Ah, Herr Graf, Sie sagen, Sie seien Orientale, Malaie, Indianer, Chinese, Wilder, Sie nennen sich Monte Christo mit Familiennamen, Simbad der Seefahrer mit Vornamen, und an dem Tage, wo Sie Paris zum erstenmal betreten, besitzen Sie bereits das größte Verdienst oder den größten Fehler unserer überschwenglichen Pariser, das heißt, Sie maßen sich Laster an, die Sie nicht haben, und verbergen die Tugenden, die Sie besitzen.
Lieber Vicomte, sagte Monte Christo, ich sehe in allem, was ich gesprochen oder getan, nicht das geringste, was des Lobes wert wäre, das ich soeben von Ihnen und diesen Herren empfangen habe. Sie waren kein Fremder für mich, da ich Sie kannte, da ich Ihnen zwei Zimmer abgetreten, da ich Ihnen ein Frühstück gegeben, da ich Ihnen meinen Wagen geliehen, da wir miteinander auf dem Korso die vorüberziehenden Masken betrachtet und von einem Fenster der Piazza del popolo einer Hinrichtung zugeschaut hatten, die einen so gewaltigen Eindruck auf Sie machte, daß Ihnen beinahe übel geworden wäre. Ich frage nun alle dieseHerren: Konnte ich meinen Gast in den Händen der Banditen lassen, wie Sie diese Leute nennen? Auch hatte ich, als ich Sie rettete, wie Sie wissen, einen Hintergedanken; ich wollte gern durch Sie in die Pariser Salons eingeführt werden, wenn ich nach Frankreich käme. Sie konnten das damals für einen flüchtigen Einfall halten, heute aber sehen Sie, daß es eine ernste Wahrheit ist, der Sie sich unterwerfen müssen, wenn Sie Ihr Wort nicht brechen wollen.
Ich werde es halten, sagte Morcerf, doch ich fürchte sehr, es wird eine Entzauberung bei Ihnen eintreten, lieber Graf, da Sie durch romantische Begebenheiten und phantastische Ereignisse verwöhnt sind. Bei uns finden Sie keine Spur von Episoden der Art, wie sie in Ihrem abenteuerlichen Leben zur Regel gehören. Unser Chimborasso ist der Montmartre, unser Himalaya der Mont-Valérien, unsere große Wüste die Ebene von Grenelle, wo man einen artesischen Brunnen gegraben hat, damit die Karawanen Wasser finden. Wir haben auch Räuber, viele Räuber, wenn auch nicht so viele, wie man sagt, aber diese Räuber fürchten der weitem mehr den kleinsten Spion, als den mächtigsten Herrn: kurz, Frankreich ist ein so prosaisches Land und Paris eine so zivilisierte Stadt, daß Sie in allen unseren Departements keinen Berg finden, auf dem nicht eine Telegraphenstange stände, und keine etwas dunkle Grotte, in der die Polizei nicht hätte eine Glastür einsetzen lassen. Ich kann Ihnen folglich nur einen Dienst leisten, lieber Graf, und für diesen stehe ich zu Ihrer Verfügung: ich kann Sie überall vorstellen oder durch meine Freunde vorstellen lassen. Übrigens brauchen Sie niemand hierzu; mit Ihrem Namen, mit Ihrem Vermögen und Ihrem Geiste – Monte Christo verbeugte sich mit leichtem ironischem Lächeln – stellt man sich überall selbst vor und wird überall gut aufgenommen. Ich kann Ihnen also nur in einer Beziehung nützlich sein. Gereicht es mir bei Ihnen zur Empfehlung, daß ich ein wenig mit dem Pariser Leben vertraut bin, einige Erfahrung im Komfortablen habe und unsere Basare kenne, so verfügen Sie über mich, wenn Sie sich ein bequemes Haus aussuchen wollen. Ich wage es nicht, Ihnen den Vorschlag zu machen, meine Wohnung mit mir zu teilen, wie ich die Ihrige in Rom geteilt habe, ich, der ich mich nicht zum Egoismus bekenne, aber nichtsdestoweniger vorzugsweise Egoist bin; denn bei mir würde es, mich selbst ausgenommen, kein Schatten aushalten, dieser Schatten müßte denn der einer Frau sein.
Ah! rief der Graf, das ist ein ganz ehrlicher Vorbehalt. Sie haben mir in der Tat in Rom ein paar Worte von einem Heiratsplane gesagt; darf ich Ihnen zu Ihrer nahe bevorstehenden Verbindung Glück wünschen?
Meinem Vater ist daran gelegen, und ich hoffe Ihnen binnen kurzem, wenn nicht meine Frau, doch meine Braut, Fräulein Eugenie Danglars, vorzustellen.
Eugenie Danglars! rief Monte Christo, warten Sie doch ... ist Ihr Vater nicht der Graf Danglars?
Ja, antwortete Morcerf, aber ein Graf neuer Herkunft.
Oh! Was tut das? entgegnete Monte Christo. Wenn er nur dem Staate Dienste geleistet hat, welche diese Auszeichnung als gerechte Belohnung erscheinen lassen.
Ungeheure Dienste, sagte Beauchamp. Er hat, obgleich in seinem Innern liberal, im Jahre 1829 ein Anlehen von sechs Millionen für den König Karl X. zu stande gebracht und wurde von diesem dafür zum Grafen und
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