Der Graf von Monte Christo
des Bedürfnisses verschluckt. Zehn Minuten nachher tritt die Wirkung ein. Fragen Sie den Baron Franz d'Epinay, ich glaube, er hat eines Tages davon gekostet.
Ja, versetzte Morcerf, er erzählte mir davon, und er bewahrt eine sehr angenehme Erinnerung an diesen Genuß.
Sie führen also diese Droge stets bei sich? fragte Beauchamp, der in seiner Eigenschaft als Journalist sehr ungläubig war.
Beständig, antwortete Monte Christo.
Wäre es unbescheiden, wenn ich Sie bitte, diese Pillen sehen zu dürfen? fuhr Beauchamp fort, in der Hoffnung, den Fremden auf einer Blöße zu ertappen. Nein, mein Herr, erwiderte der Graf; und er zog aus seiner Tasche eine wundervolle Bonbonniére, die aus einem einzigen Smaragd gearbeitet und mit einer Schraube verschlossen war, und die, wenn man sie ausschraubte, ein Kügelchen von grünlicher Farbe und von der Größe einer Erbse durchließ. Dieses Kügelchen hatte einen scharfen, durchdringenden Geruch; es waren vier oder fünf ähnliche in dem Smaragd, der ungefähr ein Dutzend fassen mochte. Die Bonbonniére machte die Runde um die Tafel, doch die Gäste ließen sie mehr umhergehen, um den prachtvollen Smaragd zu bewundern, als um die Pillen zu beriechen.
Und diese Speise bereitet Ihnen Ihr Koch? fragte Beauchamp.
Nein, erwiderte Monte Christo; ich überlasse meine reellen Genüsse nicht der Willkür unwürdiger Hände. Ich bin ein ziemlich guter Chemiker und bereite meine Pillen selbst.
Das ist ein bewunderungswürdiger Smaragd ... es ist der größte, den ich je gesehen habe, obgleich meine Mutter als Familienwertstücke verschiedene ziemlich merkwürdige Juwelen besitzt, sagte Chateau-Reuaud.
Ich hatte drei gleiche, versetzte Monte Christo; den einen gab ich dem Großsultan, der ihn an seinen Säbel fassen ließ; den andern unserem heiligen Vater, dem Papst, auf dessen Geheiß er auf seine Tiara, als Gegenstück zu einem ähnlichen, aber doch minder schönen Smaragd, einer Gabe Napoleons an seinen Vorgänger Pius VII., eingesetzt wurde. Den dritten behielt ich für mich; ich ließ ihn aushöhlen, was ihm ungefähr die Hälfte seines Wertes benommen, aber für den Gebrauch, zu dem ich ihn bestimmte, bequemer gemacht hat.
Alle schauten Monte Christo erstaunt an; er sprach mit so viel Einfachheit, daß er offenbar die Wahrheit sagte oder verrückt sein mußte. Beim Anblick des Smaragds in seinen Händen aber neigte man natürlich zu der ersten Vermutung.
Und was haben Ihnen diese beiden Herrscher dagegen gegeben? fragte Debray.
Der Großherr die Freiheit einer Frau, antwortete der Graf, unser heiliger Vater, der Papst, das Leben eines Mannes. So war ich einmal in meinem Dasein so mächtig, als hätte mich Gott auf den Stufen eines Thrones geboren werden lassen.
Es ist Peppino, den Sie befreit haben, nicht wahr? rief Morcef; für ihn haben Sie Ihr Begnadigungsrecht angewendet?
Vielleicht, antwortete Monte Christo lächelnd.
Herr Graf, Sie machen sich keinen Begriff, welches Vergnügen es mir bereitet, Sie so sprechen zu hören, sagte Morcerf. Ich hatte Sie zum voraus meinen Freunden als einen fabelhaften Mann, als einen Zauberer aus Tausendundeiner Nacht, als einen Hexenmeister angekündigt; doch die Pariser sind so paradoxe Leute, daß sie die unbestreitbarsten Wahrheiten für Launen der Einbildungskraft halten, wenn diese Wahrheiten nicht in ihrer täglichen Existenz in Erscheinung treten,. Nehmen Sie zum Beispiel hier Debray, der alle Tage liest, und Beauchamp, der täglich druckt, daß man auf dem Boulevard ein verspätetes Mitglied des Jockeyklubs geplündert, daß man vier Personen in der Rue Saint-Denis oder im Faubourg Saint-Germain ermordet hat, daß zehn Diebe in einem Kaffeehause des Boulevard du Temple verhaftet worden sind, und dennoch bestreiten sie das Vorhandensein von Banditen in der römischen Campagna. Sagen Sie ihnen doch selbst, Herr Graf, daß mich Banditen festgenommen, und daß ich ohne Ihre edelmütige Vermittelung aller Wahrscheinlichkeit nach heute die ewige Auferstehung in den Katakomben von San Sebastiano zu erwarten hätte, statt Ihnen in meinem unwürdigen Häuschen in der Rue du Helder ein Frühstück zu geben.
Bah! rief Monte Christo, Sie haben mir versprochen, von dieser Kleinigkeit nie zu sprechen. Nicht ich, Herr Graf, entgegnete Morcerf; Sie verwechseln mich mit einem andern, dem Sie wahrscheinlich denselben Dienst geleistet haben, wie mir. Sprechen wir im Gegenteil davon, ich bitte Sie! Denn wenn Sie sich entschließen, hiervon zu
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