Der Graf von Monte Christo
Zukunft vor, die vielleicht noch viel blutiger ist!
Die Baronin kannte Villeforts Ruhe, sie war so erschrocken über seinen gereizten Zustand, daß sie den Mund öffnete, um zu schreien, aber der Schrei erstarb in ihrer Kehle.
Wie ist sie wiedererwacht, diese furchtbare Vergangenheit? rief Villefort; wie ist sie aus der Tiefe des Grabes und aus der Tiefe unserer Herzen, wo sie schlummerte, hervorgetreten, einem Gespenst ähnlich, um unsere Wangen erbleichen und unsere Stirnen erröten zu lassen?
Ach! ohne Zweifel durch Zufall! sagte Herminie.
Durch Zufall! versetzte Villefort: nein, nein, nein, gnädige Frau, es gibt keinen Zufall!
Doch wohl; ist es nicht ein Zufall, allerdings ein unseliger, aber immerhin ein Zufall, der dies alles herbeigeführt hat? Hat nicht durch Zufall der Graf von Monte Christo dieses Haus gekauft? Hat er nicht durch Zufall die Erde ausgraben lassen? Ist nicht endlich durch Zufall das unglückliche Kind unter den Bäumen ausgegraben worden? Armes, unschuldiges, mir entsprossenes Geschöpf, dem ich nie einen Kuß geben konnte, während ich ihm viele Tränen weihte. Ach! mein ganzes Herz flog dem Grafen entgegen, als er von der teuren Hülle sprach, die man unter den Blumen fand.
Nein, nein, gnädige Frau; das ist es gerade, was ich Ihnen Furchtbares zu sagen habe, erwiderte Villefort mit dumpfer Stimme; nein, man hat keine Hülle unter den Bäumen gefunden; nein, es war dort kein vergrabenes Kind; nein, Sie dürfen nicht weinen; nein, Sie dürfen nicht seufzen, Sie müssen zittern.
Was wollen Sie damit sagen? rief Frau Danglars schauernd.
Ich will damit sagen, daß Herr von Monte Christo, als er am Fuße der Bäume graben ließ, weder das Skelett eines Kindes, noch die Beschläge einer Kiste finden konnte, weil unter diesen Bäumen weder das eine noch das andere vorhanden war.
Es war weder das eine noch das andere vorhanden! wiederholte Frau Danglars, auf den Staatsanwalt Augen heftend, deren furchtbar erweiterter Stern den tiefsten Schrecken andeutete; es war weder das eine noch das andere vorhanden, wiederholte sie noch einmal, wie eine Person, die durch den Klang ihrer Worte und das Geräusch ihrer Stimme ihre Gedanken festzuhalten versucht.
Nein! rief Villefort, während er seine Stirn in seine Hände sinken ließ; nein, hundertmal nein ... Sie hatten also das arme Kind nicht dort niedergelegt, mein Herr? Warum täuschten Sie mich, sprechen Sie, in welcher Absicht taten Sie dies?
Hören Sie mich, gnädige Frau, und Sie werden mich beklagen, mich, der ich zwanzig Jahre lang, ohne den geringsten Teil auf Sie zu werfen, eine Last von Schmerzen getragen habe. Sie wissen, wie jene schmerzhafte Nacht verging, wo Sie, mit dem Tode ringend, auf Ihrem Bette in jenem Zimmer von rotem Damast lagen, während ich, fast ebenso keuchend wie Sie, Ihre Entbindung erwartete. Das Kind kam, wurde mir ohne Bewegung, ohne Atem, ohne Stimme übergeben, wir hielten es für tot.
Frau Danglars machte eine rasche Bewegung, als wollte sie vom Stuhle aufspringen. Doch Villefort hielt sie zurück, indem er, die Hände faltend, sie gleichsam um Aufmerksamkeit anflehte.
Wir hielten es für tot, wiederholte er; ich legte es in ein Kistchen, das den Sarg ersetzen sollte, ging in den Garten, grub ein Grab und verscharrte es in Eile. Kaum hatte ich das Kistchen mit Erde bedeckt, als sich der Arm des Korsen nach mir ausstreckte. Ich sah es wie einen Schatten sich emporrichten, wie einen Blitz leuchten. Ich fühlte einen Schmerz, ich wollte schreien, ein eisiger Schauer durchlief meinen ganzen Leib und schnürte mir die Kehle zusammen. Ich glaubte, meine letzte Minute sei gekommen, und brach zusammen. Nie werde ich Ihren erhabenen Mut vergessen, als ich mich, wieder zu mir gekommen, mit der größten Anstrengung bis unten an die Treppe schleppte, und Sie mir, selbst sterbend, entgegenkamen. Wir mußten völliges Stillschweigen über diese Katastrophe beobachten; Sie kehrten, von Ihrer Amme unterstützt, in Ihr Haus zurück; ein Duell diente als Vorwand für meine Wunde. Gegen alle Erwartung blieb unser Geheimnis bewahrt. Drei Monate lang kämpfte ich gegen den Tod; endlich, da ich wieder zum Leben zurückzukehren schien, verordnete man mir die Sonne und die Luft des Südens. Ich wurde nach Marseille gebracht, und Frau von Villefort folgte mir. Meine Wiedergenesung dauerte zehn Monate; ich hörte nichts von Ihnen und wagte nicht, mich zu erkundigen, was aus Ihnen geworden sei. Als ich nach Paris zurückkehrte,
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