Der Graf von Monte Christo
ausgesuchte Zierlichkeit. Es war eine kleine, feenartig schlanke und blonde Dame mit langen, gelockten Haaren, welche auf einen etwas zu gestreckten Hals fielen, und mit einem etwas matten, verschleierten Blick. Man sagte, sie habe eine schwache Brust und würde wie Antonia in der ›Cremoneser Geige‹ eines Tages beim Singen sterben.
Monte Christo warf einen raschen, neugierigen Blick in dieses Frauengemach; er sah zum ersten Male Fräulein d'Armilly, von der er so oft im Hause hatte sprechen hören.
Nun! fragte der Bankier seine Tochter, sind wir ausgeschlossen?
Dann führte er den jungen Mann in den kleinen Salon, und – war es nun Zufall, war es Absicht – hinter Andrea wurde die Tür so zugestoßen, daß Monte Christo und die Baronin von dem Orte, wo sie saßen, nichts mehr sehen konnten.
Bald darauf hörte der Graf Andreas Stimme zu den Akkorden des Klaviers ein korsisches Lied singen. Während der Graf lächelnd auf dieses Lied horchte, das ihn Andrea vergessen ließ und an Benedetto erinnerte, rühmte Frau Danglars die Seelenstärke ihres Mannes, der an demselben Morgen bei einem Bankerott in Mailand abermals 3-400 000 Franken verloren hatte. Und dieses Lob war in der Tat verdient; denn wenn es der Graf nicht durch die Baronin oder durch ein anderes ihm zu Gebot stehendes Mittel erfahren hätte, das Gesicht des Barons würde ihm kein Wort davon gesagt haben.
Gut! dachte Monte Christo, er ist bereits so weit, daß er verbirgt, was er verliert, während er sich vor einem Monat noch seiner Verluste rühmte.
Dann sagte der Graf laut: Oh! gnädige Frau, Herr Danglars kennt die Börse so gut, daß er dort stets wieder gewinnen wird, was er anderswo verlieren mag.
Ich sehe, daß Sie den allgemeinen Irrtum, Herr Danglars spiele, teilen. Das ist nicht der Fall.
Ach ja! das ist wahr. Gnädige Frau, ich erinnere mich dessen, was mir Herr Debray gesagt hat ... Doch was ist eigentlich aus Herrn Debray geworden? Ich. habe ihn seit drei oder vier Tagen mit keinem Auge gesehen.
Ich auch nicht, sagte Frau Danglars mit der gelassensten Miene. Was haben Sie von Herrn Debray gehört?
Er hat mir gesagt, Sie selbst opferten dem Dämon des Spieles.
Ich gestehe, das Börsenspiel lockte mich eine Zeitlang; aber ich habe den Geschmack daran verloren.
Darin haben Sie unrecht, gnädige Frau. Mein Gott, die Wechselfälle des Glücks sind unberechenbar, und wäre ich ein Weib und zufällig Frau eines Bankiers geworden, so würde ich trotz allen Vertrauens zu meinem Manne mir doch ein unabhängiges Vermögen zu sichern suchen.
Frau Danglars errötete unwillkürlich.
Hören Sie, fuhr Monte Christo fort, als ob er nichts gesehen hätte, haben Sie gehört, wie gestern die Neapolitaner gestiegen sind?
Ich habe keine und habe nie welche gehabt, sagte rasch die Baronin; doch nun ist genug von der Börse gesprochen, Herr Graf, wir gleichen zwei Wechselagenten; reden wir lieber von den armen Villeforts, die in diesem Augenblick so sehr vom Unglück heimgesucht werden.
Was ist ihnen denn widerfahren? fragte Monte Christo mit gutgespielter Unwissenheit.
Sie wissen doch, daß sie nach dem plötzlichen Tode des Herrn von Saint-Meran auch die Marquise drei Tage nach ihrer Ankunft verloren haben.
Ah! es ist wahr, versetzte Monte Christo, ich habe davon gehört; doch das ist, wie Claudius zu Hamlet sagt, das Gesetz der Natur: ihre Väter sind vor ihnen gestorben, und sie haben sie beweint; sie werden vor ihren Söhnen sterben, und ihre Söhne werden sie beweinen.
Doch das ist noch nicht alles. Sie wissen doch, daß sie ihre Tochter verheiraten wollten? An Herrn Franz d'Epinay ... Hat die Heirat nicht stattgefunden? – Gestern morgen hat ihnen Franz, scheint es, ihr Wort zurückgegeben. – Ah! wirklich ... Kennt man die Ursache dieses Bruches? – Nein. – Und wie nimmt Herr von Villefort alle diese Unglücksfälle auf? – Wie immer, als Philosoph.
In diesem Augenblick kehrte Danglars zurück.
Wie! rief die Baronin, Sie lassen Herrn Cavalcanti mit Ihrer Tochter allein?
Und als was sehen Sie denn Fräulein d'Armilly an? erwiderte der Bankier und bemerkte sodann, sich an Monte Christo wendend: Ein reizender junger Mann, nicht wahr, Herr Graf, dieser Prinz Cavalcanti? Nur fragt es sich, ob er wirklich Prinz ist?
Ich stehe nicht dafür. Man hat mir seinen Vater als Marquis vorgestellt; demnach wäre er Graf. Doch ich glaube nicht, daß er sich viel auf seinen Titel einbildet.
Warum? Wenn er Prinz ist, so hat er unrecht, sich
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